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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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würziges Eiergericht vor, das wir mit den Fingern aßen, indem wir Pita in die Pampe stippten. Die BBC zeigte The Death of Yugoslavia und ich sah zu, wie es starb, ein weiteres Mal.
    Am Abend fuhr mich Tariq ins Zentrum und zeigte mir meine Unterkunft für die Nacht, ein kleines Zimmer im hinteren Teil der Moschee mit einem Stapel Gymnastikmatten in der Ecke und einem Schrank voller grauer Decken.
    »So Gott will, bringt Dr. Habib morgen alles in Ordnung«, sagte er.
    Dr. Habib war ein dünner Ägypter in einem gut sitzenden Anzug, und er brachte tatsächlich alles in Ordnung. Er sah meine Papiere durch und sagte, es gäbe keine rechtliche Handhabe für Branka, mich zur Rückkehr nach Bosnien zuzwingen, wenn ich nicht wollte. Er rief bei der Einwanderungsbehörde an, teilte ihnen meinen Aufenthaltsort mit und meine Entscheidung, nicht mit der Truppe zurückzukehren, und die Beamten wünschten mir einen angenehmen Restaufenthalt in Großbritannien. Während Allison und ihre Mutter parkten, fragte mich Tariq, ob ich lieber im Zentrum bleiben wolle, und ich verneinte. Er lächelte traurig und schüttelte mir die Hand. Als ich sein Büro verließ, sah ich seinen Gesichtsausdruck durch die Glasscheibe in der Tür. Die Freude, mit der ich das Zentrum verließ, schien ihn zu schmerzen.

Auszüge aus Ismet Prcićs Tagebuch
Juni 2000
    Oberflächlich betrachtet, mati , ist alles gut. Ich wurde in San Diego angenommen. Melissa und ich leben zusammen in Sünde. Wir haben ein Häuschen in North Park gefunden, einem Viertel in San Diego. Wir teilen es uns mit einem anderen Paar. Ben und Jen heißen sie. Jen kommt aus Samoa. Ben hat eine Katze, und Melissa steht total auf Katzen. Keiner von ihnen hat eine Vorstellung davon, was in meinem Kopf vorgeht, oder wo meine Pistole ist.
    Meine Aufzeichnungen sind ein einziger Schwindel. Wem will ich was vormachen?
    Vielleicht komme ich nach Bosnien, um dich wieder zu besuchen, mati. Vielleicht in einem Jahr. Wenn ich das Geld auftreiben kann. Ich habe ein Labor im Auge, wo sie medizinische Versuche machen, mit Schlafentzug experimentieren, Medikamente testen und so was. Vielleicht verkaufe ich eine Niere. Oder mein Gehirn. Ich will’s nicht mehr haben.
    Heute Abend ist mir klargeworden, dass ich in Schottland möglicherweise meine Jungfräulichkeit verloren habe. Aber nicht mit Allison. Ich erinnere mich … jedenfalls glaube ich das. Ich hatte es vergessen. Ist das überhaupt möglich?
    Allison. Asja. Erschreckend, wie all diese Menschen ins eigene Leben treten, ihr Ding machen und wieder verschwinden. Weg.

(… mechanisch …)

    Es war der Spätsommer 1995, und irgendwo am anderen Ende von Europa blutete Bosnien noch immer. Mustafa betrank sich mit Allisons Vater auf einer Party im vornehmen Teil von Edinburgh.
    Allisons Vater redete und redete, und Mustafa tat, als würde er mehr als nur zwanzig Prozent dessen verstehen, was ihm da entgegenrauschte. Der Schotte ließ sich detailliert über den Reifungsprozess von Whisky aus, und Mustafa machte gute Miene zum bösen Spiel, versuchte seinen Gastgeber aber gleichzeitig strategisch so zu manövrieren, dass er heimlich Blicke auf dessen Tochter werfen konnte. Er hatte sich in Allison verliebt. Sie hatten sich an seinem ersten Tag in Schottland kennengelernt, weil sie Werbung für das Theater machte. Sie hatte einen Freund und spielte rein körperlich in einer anderen Liga als er. Mustafa hatte einmal gelesen, dass manche Dichter sich verliebten, nur um dann Schluss zu machen und sich von ihrem Leiden zu tragischen Liebesgedichten inspirieren zu lassen. So war er auch. Für ihn gab es nichts Besseres, als ein junger, dürrer Kerl zu sein, der traurig war wegen eines Mädchens.
    Zuerst mischten sich die Bosnier und die Schotten überhaupt nicht, aber sobald der Alkohol die kulturellen Grenzen verschwimmen ließ, wurde es besser. Mustafa spielte Songs von Green Day auf der Gibsondes Gastgebers, und alle sangen mit. Allisons Vater wiederholte ständig, dass ihre Generation keine Ahnung von Musik habe und dass drei Akkorde noch keinen Song ausmachten. Allison sagte, er solle ihn gar nicht beachten, dann setzte sie sich vor ihn hin und nickte im Rhythmus. Ein paar ihrer Freundinnen machten es ihr nach. Es war nicht der schwärzeste Tag für Mustafa.
    Doch bis zwei Uhr morgens hatte sich Folgendes zugetragen: Er hatte zu viel getrunken, zwei Saiten der unbezahlbaren Gitarre waren gerissen und man hatte sie ihm aus den Händen genommen, eine

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