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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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alles nur ganz mechanisch durch.
    Irgendwo in der Nähe ihrer Wohnung hielt uns ein Verkehrspolizist an. Ich flippte innerlich aus auf dem Rücksitz, aber Vedad setzte einen perfekten kroatischen Akzent auf, sprach über den Frontverlauf, und am Ende des Gesprächs schüttelte ihm der Polizist die Hand und ließ uns ohne Verwarnung weiterfahren.
    Mir wurde klar, welchen Zweck Vedads Uniform hatte. Schließlich waren die beiden auch illegal.
    Es kam mir vor, als würde ich verkauft, als wäre ich eine kubanische Zigarre oder eine verbotene Droge, als müsste die Transaktion schnell über die Bühne gehen, und dann nichts wie weg. Neda schloss zwar die Wohnungstür, blieb aber direkt daneben auf dem Linoleum stehen, ohne sich die Schuhe auszuziehen, und behielt die Klinke in der Hand. Vedad stellte mich einer Frau vor, die traditionell gekleidet und unfreundlich wie ein Türsteher im Flur stand. Ihr Gesicht war streng, fast schon angewidert, die Nase zeigte auf ihr Kinn, und ihr Kinn erwiderte die Geste. Ihr Blick drang in mich ein, und ich spürte sie dort drinnen toben, Tische umwerfen, Sofakissen aufschlitzen, auf der Suche nach Beweisen für die Unwürdigkeit ihres neuen Mieters.
    »Mina. Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte sie, obwohl es nicht den Anschein hatte. »Am besten kümmernwir uns gleich ums Geschäftliche, dann kennt jeder die Regeln.«
    Ich wusste, dass sie von Geld sprach, und fragte, ob ich kurz die Toilette benutzen dürfe. Ich konnte schlecht vor allen Leuten die Hose runterlassen und meinen verschwitzten, stinkenden Geldbeutel aus der Unterwäsche ziehen.
    Es war kalt und weiß da drin, als wäre ich durch eine Pforte nach, keine Ahnung, Narnia gegangen. Die Fugen der tristen Fliesen nahmen mich gefangen, leiteten meinen Blick, machten einen Rundgang mit mir: ein kleines Waschbecken, ein Spiegel voller Zahnpastaspritzer, eine geschwungene Badewanne, die wie eine riesige Bettpfanne in der Ecke stand, ein Milchglasfenster zum Parkplatz raus, eine Kloschüssel, eine Waschmaschine und ein paar Schatten. Ich band den Beutel auf, nahm das Geld raus, untersuchte mich auf Ausschlag und fand nichts, nur eine nachvollziehbar rote Stelle. Ich steckte den Beutel in die vordere Tasche, das Geld in die hintere, wusch pflichtschuldig meine Hände, holte tief Luft und trat hinaus in die Wirklichkeit.
    »Hier entlang«, sagte Mina. »Außer uns beiden geht das niemanden etwas an.«
    Sie führte mich in ein winziges Zimmer mit babyblauen Wänden, schwimmbeckenblauen Vorhängen und zwei einzelnen Betten, auf denen blau und türkis geblümte Steppdecken lagen. Die Holzmöbel, eine Kommode und ein Nachttisch, waren weiß gestrichen. Sie schloss die Tür, nannte ihren Preis und wartete auf meine Antwort, als hätte ich eine Wahl gehabt, als hätte ich sagen können: Danke, aber dann versuche ich es lieber anderswo in dieser fremden Stadt, in der ich mich praktisch illegal aufhalte und ungewollt bin. Ich nahm die schmale Rolle deutsches Geld aus meiner hinteren Tasche und gab ihr, was sie verlangte. Ihr Blick hellte sich auf, und zum ersten Mal kam sie mir wie ein Mensch vor, jemand mit Gedanken und einem Innenleben.Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der Preis war fair.
    »Willkommen«, sagte sie und ging hinaus.
    Voller Freude darüber, dass ich mindestens einen Monat lang eine Anlaufstation hatte, ging ich raus in den Gang, wo Neda immer noch die Klinke in der Hand hielt und mit dem Fuß wippte. Sie starrte Mina an, die sie auf einen Kaffee hereinbat, jetzt, wo das Geschäftliche geklärt war.
    »Wir haben leider gar keine Zeit«, erwiderte Neda und beugte sich über die Grenze zwischen Linoleum und Teppich, um mich kurz zu umarmen. »Ich ruf dich später an«, sagte sie. Vedad schüttelte mir und Mina die Hand, und dann waren sie auch schon verschwunden und eilten die Treppe runter, als hätten sie es gar nicht erwarten können, ihren Streit fortzusetzen, zu fluchen und Dampf abzulassen in ihrem kleinen Wagen, zu übertreiben und aus Mücken Elefanten zu machen, sich im Recht zu fühlen und wütend zu werden, endlich aussprechen zu dürfen und einander ins Wort zu fallen und schließlich mit dem Rücken zueinander einzuschlafen. Die Haustür fiel hinter ihnen ins Schloss.
    Ich setzte mich auf die Couch im Wohnzimmer, starrte auf den stummgestellten Fernseher und ließ einen Schwall von Minas Fragen und Bemerkungen über mich ergehen, wonach ich mich nackt und wund fühlte. Es war weniger eine Unterhaltung

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