Scherben
ein Gebet, trinkt und steigt mit wackeligen Beinen in die dampfende Wanne. Ich sehe, wie sie nach dem Taschenmesser greift, auch daran hat sie gedacht, eine schmale Klinge, kleiner als ein Finger. Sie weiß, welche die schärfste ist. Jetzt sehe ich ihr Gesicht, ihr Blick ist in die Ferne gerichtet, resigniert. Ich sehe, dass sie es ernst meint, und ich zittere.
» Mati «, ihre Nachricht brüllt mir in den Ohren.
Ich bin so dumm.
So verflucht dumm.
Jemand schiebt sein Gesicht vor meins, rund und bärtig. Sein Mund bewegt sich, ein amerikanisches Gebiss. Jetzt habe ich auch in jeder Hand etwas.
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
In meiner Hand sind Pillen. Und ein Bier.
Die Klinge öffnet die Pulsadern meiner Mutter; Blut spritzt heraus und trübt das Badewasser. Ihr Kopf knallt nach hinten auf das Emaille der Wanne. Ihr Mund füllt sich mit Wasser, es hat die Farbe eines faden Roséweins angenommen. Nur ihre Nase, ihre Augen und ihre Stirn schauen heraus.
Atmet sie?
Meine Augen fühlen sich an, als würden sie in Öl braten.
»Alles klar?«, fragt jemand hinter mir.
»Ja«, sage ich, ohne zu gucken. Stattdessen betrachte ich meine Hände. Jetzt ist da eine leere Flasche Bier.
»Wir gehen schwimmen.«
»Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Okay. Wie du willst.«
Stille. Nach zwei Uhr.
Ich richte die Pistole auf mein Spiegelbild und frage mich, was passieren würde, wenn ich abdrücke. Ob der Spiegel zerspringen oder die Kugel nur ein Loch hinterlassen, oder ob die Person im Spiegel ein Einschussloch auf der Stirn haben und tot zusammensacken würde.
Nach drei Uhr.
Ich halte eine Flasche Wodka in der Hand, außerdem eine Pistole und ein Telefon. Ich gehe zur Hintertür raus, verliere das Gleichgewicht und falle in Bens taufeuchte Mittagsblumen. Ich versuche aufzustehen und gebe es auf, gieße Wodka in den unteren Teil meines Gesichts und sehe mich um. Hinter den dürren Hecken ist die glitzernde blaue Oberfläche des Pools unseres Nachbarn. Keine Menschen.
Einen Augenblick lang ist mir, als würde ich Schüsse hören. Einen Augenblick lang bin ich mitten im Krieg.
Unter dem Haus bewegt sich was.
»Mustafa, bist du das?«, rufe ich in die Schatten hinein.
1997 lernte ich einen Bosnier kennen, der in Thousand Oaks war, um sich von einem berühmten Arzt den Fuß behandeln zu lassen, der ihm in einer Schlacht zerschossen worden war. Er wohnte bei seinem Onkel, und mein Onkel kannte seinen Onkel. Er war verrückt und beängstigend (er sagte ständig, er sei ein Apache), trotzdem verbrachte ich Zeit mit ihm, quetschte ihn nach Geschichten vom Krieg aus. Was er erzählte, höhlte mich aus. Was er durchgemacht hatte, beschämte mich. Ich hatte das Gefühl, ich sei es nicht wert, mich als Bosnier zu bezeichnen.
Ich war nie gezwungen, menschliche Hoden zu essen, einen Menschen zu erschießen oder zuzusehen, wie Schweine meine Landsleute fressen. Nein, ich bin abgehauen. Das ist meine Geschichte. Ich ließ meine Mutter zurück, meinen Vater, meinen Bruder, meine erste Liebe. Das ist alles. Das Ende.
Deshalb ist Mustafa hier, der Schatten unter dem Haus.
»Hier bin ich«, sagt er auf Bosnisch, selbstsicher, lächelnd.
Mustafa kennt das ernüchternde Grauen, das einen überkommt, wenn die Mündung einer Pistole die Lippen berührt. Er kennt den Grund dafür, dass dieser Mann in den Mittagsblumen im letzten Moment das Lenkrad packt, dass er jetzt nicht abdrücken kann. Er macht einen Schritt auf ihn zu und nimmt ihm die Pistole aus der Hand.
»Schwächling«, sagt er, lächelt und zielt.
Er sitzt lange in den Mittagsblumen, betrachtet seine Hände, spürt den Wind auf seiner neuen Haut, gewöhnt sich daran.
Das Innere des Hauses pulsiert vom flackernden Licht eines Fernsehbildschirms. Als würde jemand in einem Gully stehen und etwas schweißen.
Unter dem Haus kommt ein Waschbär hervor und sieht ihn an. Ganz praktisch, als wolle er einschätzen, welches Maß an Bedrohung von ihm ausgeht. Der Waschbär stellt fest, dass es okay ist, verschwindet wieder unter dem Haus und kommt mit einem Waschbärenbaby im Maul zurück. Es ist eine Waschbärenmama. Sie watschelt durch die Hecke, tunkt das Baby in den Pool und trägt es wieder zurück in ihren Bau. Das macht sie viermal, mit dem ganzen Wurf.
Als sie fertig ist und verschwunden, steht er vorsichtig auf. Er stützt sich mit den Händen auf den Knien ab, testet seine neuen, unsicheren, wackligen Beine, dann stolpert er ins Haus mit der klaren
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