Scherben
ungewöhnlich spontan und kurz davor, aber dann kam ein alter Mann mit einem Stock vorbei, schalt mich, als wäre ich ein Pädophiler (Asja ist sehr klein) und versaute mir alles. Für den Rest des Abends stritt ich mich in Gedanken mit dem Mann und konnte nicht mehr spontan sein.
Fernsehgeräusche aus dem Schlafzimmer. Englische Dialoge. Mutter ist still. Ich fühle mich nicht mehr so mies. Ich trinke den Sliwowitz.
Home Run – keine Chance. Ich hatte nicht mal eine Ahnung, wie man darüber spricht, geschweige denn, wie man es tut. Erst mal Liebe und Romantik, dachte ich. Hatte ehrenwerte, fast jugendfreie Absichten. Sex käme schon später, dachte ich (vielleicht nach der Hochzeit), es sei denn, sie würde vorher davon sprechen. Sie war aber zu schüchtern.Und ich war zu anständig. Dabei waren wir beide chronisch geil.
Die Fernsehgeräusche werden lauter. Lieder. Ich erinnere mich wie ich
Durch einen gigantischen Schneesturm von Stupine nach Iratz gewandert, dann zweieinhalb Stunden lang zwischen einem Bordstein und einer Hauswand umhergetigert, Schritte zählend, vom Wind belästigt. Wie ich mir in meinen zwei Jacken den Arsch abfror. Und sie nicht kam. Später sagte sie, es sei zu kalt gewesen.
Plötzlich kapiere ich, warum der Fernseher so laut ist. Ich mache die Tür auf, und ihr Gesicht liegt im Kissen vergraben. Ich gehe zu ihr und halte ihre Hand, tätschele ihr den Rücken. Mir kommen die Tränen. Und als sie kommen, versiegen ihre, und sie tupft mir mit ihrem feuchten Taschentuch die Wange trocken . Ich bin vor allem wütend auf mich selbst , sagt sie . Ich weiß, wie er ist; ich weiß, dass er kein Rückgrat hat … kein Herz, keine Eier … und ich bleibe trotzdem hier wie eine Kuh … Wie eine … Wie … Sie starrt einen Augenblick ins Leere, dann zündet sie eine Zigarette an . Ich glaube, ich bin deshalb geblieben, weil ich wusste, dass ihr erwachsen werdet und wegzieht, und ich will nicht alt und allein sein. Sie lächelt über die Ironie, sieht mich an . Geh, Schatz, sagt sie . Mir geht’s wieder gut. Ich mache die Tür zu und stehe da und betrachte die Couch, den Kleiderschrank, Großvaters Kalligraphie an der Wand, die Heizung, die Spitzengardinen, mein Zeug auf dem Boden. Ich erinnere mich, wie unfassbar verliebt ich in Asja war, so krank, so satt, so glücklich, und es fühlt sich gut an zu wissen, dass von allem, was ich jetzt empfinde, eines Tages ebenfalls nur noch Bilder und Worte übrig sein werden. Nichts, was mir noch einmal das Herz brechen kann.
Ich ziehe mein Gepäck neben die Couch, damit ich später nicht aufstehen muss. In meiner Hosentasche ist Sliwowitz. Medizin. Und ein Stift.
Es ist Nacht. Ich höre meine Mutter, sie weint, fast lautlos. Es klingt wie rhythmisches Quietschen. Sie weint ins Kissen. Es ist eine intime Depression, scherzt sie. Sie zieht sich die Ärmel runter, wenn ich in der Nähe bin, damit ich die Narben an ihren Handgelenken nicht sehe. Damit ich nicht traurig werde. Damit ich mir keine Sorgen mache. Normalerweise springe ich auf, wenn ich sie höre, gehe zu ihr und sage, dass alles gut wird. Normalerweise bin ich liebevoll. Normalerweise weiß ich, wie ich sie ablenke, wie ich etwas formuliere, wie ich lächle.
Aber jetzt bin ich erschöpft.
Jetzt liege ich einfach nur hier und höre sie weinen.
Ich sitze auf unserer Bank, Asjas und meiner, trinke Fanta mit Wodka aus einer Fantaflasche. Ich frage mich, was passieren würde, wenn ich ihr in der Stadt über den Weg liefe. Auf der Bank, ein bisschen weiter den Weg runter, sitzt ein alter Mann, er lächelt mich an und schüttelt den Kopf. Ich lächle höflich zurück.
Ich habe Asja seit dem Tag meiner Abreise nicht mehr gesehen. Einige haben gesagt, sie habe ein Jahr auf mich gewartet, habe herumgefragt, ob jemand wisse, wann ich wiederkäme. Dann habe sie einen entfernten Cousin von mir geheiratet und ein Baby bekommen.
»Hat dich wohl versetzt, hm?«, fragt der alte Mann, der plötzlich neben meiner Bank steht.
»Wie bitte?«
»Glück gehabt. Besser, sie verlässt dich jetzt, als später, wenn du alt und krank bist, so wie ich.«
Er klopft mir auf die Schulter und schlurft davon. Ich kriege keine Luft.
Auszüge aus Ismet Prcićs Tagebuch
Oktober 1999
Back in the USA, mati . Abgang Ismet, Auftritt Izzy. Du hast keine Ahnung, wie gut es sich anfühlt, ein anderer zu sein.
… eine Pause zu machen von den gefälschten Erinnerungen.
(… das spuckbienen-mädchen …)
Obwohl er sich
Weitere Kostenlose Bücher