Scherben
Tür stand einestämmige Schwester mit Ringen an den Fingern, die sie ohne Vaseline oder Öl niemals mehr abbekommen würde.
»Die nächsten fünf«, bellte sie und wartete, bis Mustafa, der Riese und drei weitere junge Kerle sich in einer Reihe aufstellten. Dem Riesen zitterten die Knie. Er schlich geduckt vorwärts, als hinge eine Kanonenkugel um seinen Hals.
»Hey, großer Mann, beeilen Sie sich! Sie sehen aus, als hätten Sie sich in die Hose gekackt.« Sie lachte gefühllos auf. Einige im Gang schmunzelten pflichtschuldigst. Mustafa hatte das Gefühl, sie würde ihm als Alleinunterhalter die Show stehlen.
»Ziehen Sie Ihre Hemden …«
Mustafa furzte.
»… aus und …« Lautes Gelächter aus Kehlen, die kürzlich gereift waren (was man von den dazugehörigen jungen Männern nicht behaupten konnte), übertönte ihre Anweisungen. Ihr Blick fuhr suchend über die Reihe und blieb an Mustafas anzüglichem Grinsen hängen. Da war er, der sein Publikum kannte, der sie direkt ansah, ihr nicht auswich. Das Gelächter wurde leiser.
»Wie können Sie bloß so ekelhaft sein?« Sie versuchte, wie eine enttäuschte Mutter zu klingen.
»Inspiration.«
Ohne je ganz verstummt zu sein, loderte das Gelächter erneut auf, und da es keinen Sinn hatte, es zu überbrüllen, zeigte die Schwester nur mit hochgezogenen Augenbrauen auf die Tür. Mustafa schubste den Riesen sachte von hinten, und die fünf traten in einen weißen Raum wie in ein Leben nach dem Tod. Die Schwester folgte und knallte die Tür zu.
»Dokumente auf den Tisch!«
Sie gehorchten, einige versuchten das noch immer im Hals steckende Glucksen zu unterdrücken. Mustafas Papiere wurden unter denen der anderen begraben, doch sie fischte sie heraus und legte den Kopf schräg, um seinen Namen zu entziffern.
»Sie zuerst, Scherzkeks! Obenrum ausziehen und dann dort hinsetzen!«
Mustafa versuchte krampfhaft so zu tun, als mache es ihm nichts aus, sich in aller Öffentlichkeit zu entkleiden, und das merkte man. Er fummelte am Saum seines Sweatshirts herum, als suche er den Eingang, er zögerte, dann streifte er es sich über den Kopf und brachte ein zu enges Unterhemd zum Vorschein, das seinem Bruder gehörte. Ihr Gesicht triefte vor Hohn.
»Das Unterhemd auch.«
Das war unnötig. Er sah erst sie, dann seine unbekleideten, frei zugänglichen Venen an, dann wieder sie. Sie hielt seinem Blick stand. Er wartete eine Sekunde, dann entledigte er sich des Unterhemds und entblößte seinen Ziehharmonika-Brustkorb. Sie sah ihn an und grinste.
»Kein Kommentar«, sagte sie und wandte sich ab, um die Spritze vorzubereiten. Mustafas Blick wanderte durch den Raum, traf auf das Lächeln des Riesen, und sofort spürte er Wut in seinem Innern hochkochen. Der Riese, dieser erbärmliche Fleischkoloss, der sich duckte beim bloßen Gedanken daran, von einer Nadel gepiekt zu werden, lachte über ihn, über seine ausgemergelte Statur, die erbärmliche Brustbehaarung zwischen seinen Brustwarzen, das Nichtvorhandensein erkennbarer Muskulatur und seine schlechte Körperhaltung.
Als die Schwester Mustafa eine Nadel in die Vene stach, keinesfalls um Sanftheit bemüht, schloss er die Augen,stieß einen kurzen Schrei aus, ließ sich rückwärts vom Hocker fallen, zuckte und wand sich, verkrampfte und zitterte. Sie geriet in Panik, verharrte einen Moment lang, dann rannte sie zu einem Schrank und versuchte sich zu erinnern, was bei einem Krampfanfall zu tun war. In der Ecke knallte der Riesenklops mit Wucht auf den Boden. Je größer, desto … Die Schwester drehte sich mit weit aufgerissenen Augen um, in der Hand eine Spritze, und sah Mustafa seelenruhig auf dem Hocker sitzen, als sei nichts geschehen.
»Die geben sie lieber dem großen Mann dort.«
Mustafa hatte einen Lauf. Er furzte noch einmal, als er in das Dingsbums blies, mit dem das Lungenvolumen gemessen wird, und bekam dafür stehende Ovationen. Der Schwester, die die Ohren untersuchte, erzählte er, er höre ständig Stimmen, die ihm befahlen, das Center-Kino niederzubrennen.
Bei der Augenuntersuchung behauptete er, überall in der Stadt Zwerge zu sehen, die auf Bäume kletterten, Händchen hielten und mit Vespas umherfuhren. Sein Publikum klopfte ihm auf die Schulter und jubelte ihm zu. Die Schwestern fanden das weniger lustig. Die erste, der er seinen Streich gespielt hatte, folgte ihm und warnte ihre Kolleginnen.
»Passt bloß auf den da auf, ein echter Spaßvogel! Absolut. Sehr witzig. Schade nur, dass er nicht weiß,
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