Scherben
man damit umgeht, du also nicht, also vergiss, was du gerade gelernt hast. Und so weiter.
Der Messerspezialist brachte ihm bei, wohin man das Messer stößt und was es in einem Körper anrichtet, und so stach er auf baumelnde Sandsäcke ein, mit Zeichnungen von Menschen darauf. Der Minenspezialist zeigte ihm, wie man Antipersonen- und Panzerabwehrminen legt und erläuterte ihre jeweiligen tödlichen Vorzüge. Der Feldarzt nahm einen Schluck Sliwowitz, behauptete, der Krieg sei ein einziger Scheiß, und sagte ihm, er solle bloß nicht noch mal zu ihm kommen, es sei denn, er habe eine so große Bauchverletzung, dass man mit einem Kanu durchpaddeln könne. Dann waren die zwölf Tage vorbei.
Zum Schluss bekam er wie alle anderen auch eine Kalaschnikow, einen Ladestreifen, eine Handgranate und ein Messer und wurde eine Woche lang mit der ganz normalen Armee in die Schützengräben geschickt, um einen Vorgeschmack dessen zu bekommen, was der Krieg zu bieten hatte, um sozusagen die Gebrauchsanweisung zu lesen, bevor entschieden wurde, für welches Sonderkommando er sich eignete.
Der Morgen war beschissen und trübe und schwer vor kalter Feuchtigkeit. Ein träger, verkaterter Regen klopfte ihnen auf die Schultern, während sie auf die Laster warteten, die sie zur Front bringen sollten. Diejenigen, die Kappen bekommen hatten, setzten sie auf. Die anderen kauerten sich einfach nur zusammen, zogen die Köpfe ein und erduldeten die Wasserfolter.
Mustafa kam das alles ein kleines bisschen vor wie der erste Schultag oder wie eine Beerdigung. Alle waren gleich angezogen, standen blöd rum, sahen sich gegenseitig an, wussten nicht, was sich gehörte. Die Gesichtszüge waren angespannt vor Elend, schafften es nur mit Mühe, nicht zu entgleisen oder von den Schädelknochen zu schmelzen.
Um sie herum erwachte der Stützpunkt, begleitet vom Gebrüll der Feldwebel, die durch die Barracken tobten und den Soldaten einheizten. Aus dem Seitenfenster der Küche dampfte es. Die Wachen am Tor machten Blödsinn in ihrem Wachhäuschen, warfen einen Pappbecher herum, lachten, als könnten sie durch die Scheibe nicht gesehen werden. Ein paar Tauben waren auf dem Fußballplatz gelandet und stolzierten umher, auf und ab und machten kehrt, als wollten sie sich über die militärische Disziplin lustig machen.
Mustafa zog die Zehen ein und spreizte sie wieder ab, fror schon jetzt in seinen viel zu großen Stiefeln. Die ganze Uniform war viel zu groß, und das Tarnmuster auf der Hose passte nicht zu dem auf der Jacke. Er hatte um M gebeten und XL bekommen. Als er sich beschwerte, musste er den Vorratsraum der Küche mit einer Zahnbürste schrubben. Die Seitentaschen der Hose, die eigentlich in Höhe der Oberschenkel sitzen sollten, berührten die Ränder seiner Stiefel. Als er an sich herabblickte, sah er, dass seine Schnürsenkel schon wieder offen waren. Die blöden Dinger waren steif und glitschig, kein Knoten hielt lange. Er beugte sich hinab, schob seine Hände an der Jacke vorbei, die sich vor ihm aufblähte, als hätte er einen Theaterbauch umgeschnallt, und band sich die Schuhe.
»Deine Ration«, sagte jemand hinter ihm, und Mustafa drehte sich um. Eine Vogelscheuche von einemSoldaten gab ihm zwei Päckchen Ronhill und glotzte aus den Augen wie aus Wunden. Er hatte etwas von einem geschiedenen Mann in einem billigen Motel an einem verregneten Nachmittag, der auf das Muster der Tapete und seine abgewürgten Träume starrt.
»Ich rauche nicht.«
»Doch, tust du. Du weißt es nur noch nicht«, sagte die Vogelscheuche und ließ die Zigaretten auf den Gehweg fallen, unwillig, sie länger in der Hand zu halten. Dann ging sie weiter zu einem älteren Soldaten mit Kapuze.
Mustafa schnürte einen weiteren provisorischen Knoten und nahm, was man ihm geschenkt hatte.
»Ich schwöre, der einzige Grund, warum ich in diesem Krieg kämpfe, sind diese Scheißdinger«, grinste der Mann mit der Kapuze, kramte fieberhaft in seinem Rucksack, hielt ihn sich wie ein Hamster vors Gesicht. Hinter ihm öffnete sich das Tor für vier schmutzige Laster und einen Transporter, was für Unruhe sorgte.
»Ach du Scheiße! Jetzt kommen sie«, motzte er und legte den Rucksack ab. Seine Finger zitterten, sein Blick erstarb. Er stand neben Mustafa in der Reihe, seufzend und schmollend wie ein kleines Kind.
Ein dicker Mann in einer makellosen Uniform und mit einer schicken Waffe am Gürtel stieg hinten aus dem Transporter, und alle salutierten. Er war der Hauptmann.
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