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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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siebenundvierzigjährigen Mitarbeiterin mit Schamlippen wie Elefantenohren sexuell zu Diensten sein. Ich finde, ich habe ein paar Turnschuhe verdient.«
    »Kein Wort davon zu Branka«, sagte Bokal.
    »Oder ihren Söhnen.«
    Links neben dem Amtsbüro war ein rechteckiges Loch, in dem sich früher eine kugelsichere Scheibe befunden hatte, aber jetzt war es mit Sperrholz vernagelt. Wir hörten Geräusche von drinnen, dann wurde eine Ecke des Brettes zurückgebogen. Vier Finger schoben sich auf beiden Seiten zwischen Holz und Putz, das ganze Ding verschwand nach drinnen, und zum Vorschein kam das missmutige Gesicht eines jungen Beamten mit dunklem Haar und Sieben-Tage-Bart.
    »Haben Sie geöffnet?«, fragte Bokal.
    »Was glaubt ihr wohl?«
    Da ich ihm am nächsten stand, gab ich ihm als Erster meinen Ausweis.
    »Ich möchte meinen Pass und meine Ausreisegenehmigung abholen.«
    Er riss mir den Ausweis aus der Hand und verschwand nach drinnen. Als er wiederkam, hatte er das marineblaue Dokument und ein Blatt Papier in der Hand.
    »Zehn Mark«, sagte er.
    Ich nahm den Schein aus der Tasche, strich ihn glatt und reichte ihn ihm. Er faltete das Blatt zweimal, legte den Ausweis darauf, schob beides in meinen Pass und reichte ihn mir.
    Asmir trat als Nächster an das Fenster. Ich klappte den Pass auf und starrte mein Foto an. Es sah ein bisschen improvisiert aus, aber die Unterschrift rechts davon wirkte offiziell.
    »Wow«, sagte ich. »Ich kann nicht glauben, dass wir wirklich fahren.«
    »Ich kann nicht glauben, dass die Geld von uns wollen«, sagte Bokal. »Kannst du mir zehn Mark leihen?«
    »Tut mir leid, Mann. Mein Alter hat mit Branka gesprochen, und sie hat gesagt, wir sollen zehn Mark mitbringen.«
    »Hab ich dir nicht gesagt, dass wir nach Schottland fahren?«, sagte Asmir. Er hielt seinen Pass hoch, breitete die Arme aus und tat, als würde er fliegen wie ein Vogel.
    »Scheiße«, sagte Bokal, trat ans Fenster und legte dem Mann seinen Ausweis vor. Der sah ihn bloß an.
    »Es kostet zehn Mark, einen Pass abzuholen.«
    »Die besorg ich gleich; ich will nur wissen, ob meine Reiseerlaubnis auch bewilligt wurde.«
    Der Mann verzog das Gesicht, nahm den Ausweis und verschwand erneut nach hinten. Bokal drehte sich zu uns um.
    »Ich sag euch was, zu Hause hab ich auch keine zehn Mark.«
    »Scheiße, Bokal, wieso hast du das nicht gesagt? Wir haben gerade hundertfünzig auf dem Schwarzmarkt ausgegeben.«
    »Ich hab nicht gewusst, dass die uns Geld abknöpfen wollen.«
    Der Mann hustete, um Bokals Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
    »Ihr Pass ist hier, aber die Reiseerlaubnis wurde verweigert, da Sie Angehöriger der Armee sind.«
    »Was heißt das?«
    »Das heißt, Sie können den Pass nehmen und sich damit den Arsch abwischen, das heißt das.«
    »Warum sollte man jemandem ein Reisedokument geben, wenn man ihm verbietet, das Land zu verlassen?«
    »Warum sollte man versuchen, die bürokratischen Aussetzer eines neu gegründeten Staates zu verstehen, der sich seit vier Jahren im Krieg befindet?«
    »Und was soll ich jetzt machen?«
    »Sie können nach Hause gehen und zehn Mark holen, dann gebe ich Ihnen ein wertloses Dokument. Oder Sie gehen nach Hause und kaufen sich von den zehn Mark eineFlasche Schwarzgebrannten und saufen, bis die Farbe von der Welt schmilzt.«
    »Ich kann nicht mehr saufen«, sagte Bokal und änderte die Taktik. »Ich hab an der Front eine Niere verloren.«
    Der Mann seufzte.
    »Hören Sie, wenn der Pass sowieso wertlos ist, wieso können Sie ihn mir dann nicht umsonst geben?«
    »Weil es das Amt zehn Mark kostet, ihn zu drucken.«
    »Aber wenn ich ihn nicht abhole, verlieren Sie das Geld doch auch.«
    »Was soll ich dazu sagen?«
    »Sie müssen gar nichts sagen. Machen Sie einfach nur die Augen zu und geben Sie mir den Pass, dann sehen Sie mich nie wieder.«
    Der Mann schüttelte den Kopf und legte Bokals Ausweis aufs Fensterbrett, behielt aber den Pass. Bokal nahm ihn und drehte sich zu uns um. Zum ersten Mal überhaupt sah ich Angst in Bokals Gesicht. Er biss sich den Daumennagel ab und spuckte ihn ins Gras.
    »Du musst illegal raus. Außerhalb von Bosnien funktioniert der Pass.«
    »Meinst du?«
    »Was glaubst du, dass irgendein Botschaftsangehöriger Lendo anruft und fragt, ob ein gewisser Becho Bokal die Erlaubnis bekommen hat, das Land zu verlassen?«
    »Du hast recht.«
    »Ich weiß, dass ich recht habe. Los, wir gehen zu mir und holen das Geld.«
    »Ich will nicht bis nach Ši Selo.«
    »Was

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