Scherbengericht: Roman (German Edition)
ihrer Schürze pendeln. »Rate mal, was ich damit mache.«
»Na was denn schon … böhmische Dalken! Ja, die mag ich gern, wenn sie noch warm sind, mit viel Powidl drauf.«
»Erraten!«, lobte Rotraud jauchzend. »Die Form habe ich mir von meinem Heimatbesuch in Neutitschein mitgebracht. Und mein heuriger Powidl kommt drauf. Ich werde ihn mit Rum aufweichen und mit Zimt und Vanille würzen.«
Von draußen wurde die Tür geöffnet und der graue, schweißtriefende Wollschädel von Benny Krohn streckte sich herein.
»Guten Morgen allerseits! Wir kommen gleich zum Frühstück. Frau Rotraud, Sarah lässt fragen, ob Sie vielleicht Dörrpflaumen hätten – sie kann wieder nicht …«
Unter Lachstößen rief Rotraud vom Herd herüber: »So viel sie will! Außerdem kann ich ihr einen Kräutertee bieten – wenn mein Trigo den trinkt, kommt er nicht mehr vom Häusl zurück.«
Benny winkte ab: »Danke, danke, Dörrpflaumen wären schon okay.«
»Ich schwöre auch auf Dörrzwetschken«, kam es von Clementine, aber sie verhaspelte sich in dem letzten Wort, weil sich beim Doppel-R die Zahnprothese auf die Zungenspitze senkte. Später wird sie doch den jüdischen Zahntechniker um einen Gefallen bitten müssen. Bevor er aber jetzt auftauchte, mit seiner verstopften, nur Englisch sprechenden Sarah – sie konnte nicht einmal ein Wort Französisch –, wollte sie lieber wieder auf ihr Zimmer. Sicher werden alle sofort nach mir fragen. Außerdem ist die Tragödie Hedwig Holzapfels durch Rotrauds Trigo-loco-Anekdote wieder in ihr hochgespült worden. Zu dumm! Von solchen Erinnerungen beherrscht will sie keineswegs in das neue Jahrtausend treten. Mit drohendem Krummfinger und unter warnendem »Du, du, du!« in Richtung Treugott schlurfte sie, so aufrecht sie konnte, den weißen Haarschopf in den Nacken geworfen, der hinteren Küchentür zu.
»Ich heiz dir gleich ein, Clementine«, versprach Rotraud, beugte sich, glucksend über den Doppelsinn ihrer Ankündigung, in eine Kiste und kramte nach Papier und Holzspänen. Clementine sah es mit einem Seitenblick, als sie die Tür hinter sich zuzog. Die denkt sicher auch jetzt noch, wie alle Bauernweiber beim Unkrautjäten, Erdbeerpflücken, Eiersuchen, Feuermachen, dass sich ein Männerauge auf ihren Steiß richtet. » Rot is die Frau mit Temperament …«
Ja, aber diese schmale, verhärmte Witwe Holzapfel lässt nicht nach – es war ihr, als glitte ihre Hand nicht an der Flurmauer entlang, sondern suchte, wie einst, Hedwigs führende Schulter in der Dunkelheit.
In ihrem Zimmer angekommen, sank sie, mit dem Rücken zum Fenster und mit dem Blick auf die Tür, in den gepolsterten Korbstuhl. Gleich wird Rotraud auftauchen, dann will ich mich nicht extra nach ihr umdrehen müssen. Sie griff sich ihren Waggerl vom Nachttischchen. Wenn Rotraud hereinkommt, muss ich das Buch aufgeschlagen in der Hand halten. Diesmal war es der Roman »Mütter« ihres geliebten Karl Heinrich Waggerl, der sie in eine idyllische Bergdorfwelt voll herzensguter Menschen führte. Aber jetzt war sie eben durch Hedwig abgelenkt worden! Bald nach dem Tod ihres Ehemanns hatte Clementine einen Kreis überlebensfroher, kartenspielender und tortenverzehrender Witwen kennengelernt. Und in diesem Kreis hatte sie die Bekanntschaft Hedwigs gemacht, der Witwe des österreichischen Chemikers Helmuth Holzapfel, der bei Bayer Argentina gearbeitet hatte. Clementine wusste nicht, warum Hedwig in der Gruppe nur als Randfigur vorkam und offenbar neu in dem Kreis war. Aber sie hatte nun einmal ein Herz für die Exzentrischen und wandte sich sogleich unbekümmert der stillen Frau zu, vielleicht auch, weil sie sich von ihrer Leidensausstrahlung angezogen fühlte. Die einsame Hedwig Holzapfel erwiderte diese Annäherung sofort. Es war, als hätte sie auf diese noch nicht vorgewarnte Neue im Kreis gewartet, um endlich auf Offenheit stoßen zu können. Clementine fühlte sich zu ihr hingezogen, und zwar zunehmend, je mehr sie nach und nach von jenen Einzelheiten erfuhr, die der verschlossene Witwen-Clan nur als eine vage tragische Aura wahrnehmen wollte, die die bemitleidenswerte Gestalt umflorte.
Aber da platzte, natürlich ohne anzuklopfen, Rotraud herein. Mit dem Ellbogen hatte sie die Türklinke aufgedrückt, weil Hände und Arme damit zu tun hatten, Papier, Späne und Kleinholz gegen die Brust zu drücken.
»Das werden wir gleich haben, Clementine. Tatsächlich, es ist kalt geworden bei dir.«
Rotraud kniete vor dem bauchigen
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