Scherbengericht: Roman (German Edition)
einjagen willst, indem du den Teufel an die Wand malst. Galgenhumor nenn ich das! Jawohl, mein Trigo loco, Gal-gen-hu-mor!«
»Ich hasse die Politik«, sagte Clementine und setzte sich an den Tisch. Anfangs nur die Melodie summend, begann sie aus einem alten Wienerlied zu zitieren:
I druck’ mi’ in mei Winkerl,
des is mei stilles Glück,
I red’ ka Sterbenswörtl,
I pfeif’ auf Politik.
Rotraud brachte ihr Kaffee. Mit kornblumenblauen Augen strahlte sie Clementine an. »Wie schön immer wieder, deine Wienerlieder. Freu dich! Alles läuft auf vollen Touren. Heute, zu Silvester, brate ich euch eine Ente mit Äpfeln und Kastanien. Die Ente ist schon im Rohr, am Abend muss sie dann noch einmal kurz hinein. Außerdem mache ich auf Wunsch von Dr. Königsberg Presssack. Zum Mittagessen aber möchte ich ihm eine besondere Freude machen: in Zwiebeln und Knoblauch gegarte Morcheln, mit Polonaise überschäumt; davon hat er einmal geschwärmt. Sein geliebtes Roggenbrot aus Sauerteig hab ich auch schon gebacken; diesmal ist es knusprig wie noch nie.«
Clementine schüttelte ihre herabfallenden, im steifen Blusenstoff fast unsichtbar gewordenen Schultern. »Verwöhne nur deinen Liebling. Mir aber röste zu Mittag einen von den gestrigen Semmelknödeln. Ich hab schlecht geschlafen und muss mich für heute Abend ausruhen.«
Diese einfachen Leute leben nur fürs Essen. Sie tunkte ein Stück Weißbrot in den Milchkaffee und schob sich den Bissen zitternd in den Mund. Ein paar Tropfen rannen ihr über die Kinnfalten und zwischen den borstigen Haaren in die herabhängende Haut unter dem Kinn. Dieses derbe, horchende, fanatisiert dreinblickende Bauerngesicht von Treugott mir gegenüber – ob der es nicht vielleicht doch ernst meint mit den Roten?
»In der Erziehung müssen wir unserer Jugend in erster Linie den Respekt und die Bewunderung vor jedem Menschen beibringen, der mit seinen Händen arbeitet«, presste die Kopfstimme des Radio-Habana -Hörers halblaut hervor.
»Ich hab eher Angst vor deinen Pranken«, warf ihm Clementine an den Kopf, und fügte im Singsang hinzu: » … na und dein Herr Vatter/ große Pratzen hat er.« Sie stopfte wieder einen triefenden Brocken Brot zwischen die Lippen und merkte nicht, dass der herabtropfende Milchkaffee über ihren bebenden Kehlsack den Kragen ihrer weißen Bluse erreichte. Rotraud aber hatte es gesehen und eilte, sich lustig in der Dirndltaille wiegend, mit einem Geschirrtuch heran. Sie wollte es Clementine umbinden, doch diese schlug es ihr heftig aus der Hand.
»Rotraud, untersteh dich … Wie soll ich denn damit aussehen, wie ein Säugling?«
Sie lehnte sich empört zurück – alle Falten in ihrem Gesicht zitterten, suchten ihren angestammten Ruheplatz – und fuhr sich mit dem Handrücken über Mund und Kinn. Sei würdevoll, gebietet sie ihrem Antlitz, während sie den feuchten Handrücken am Rock abstreift. Zeig strenge Würde, wirf einen durchgeistigten, aber kritischen Blick auf den klobigen Bauernlümmel – wie er so dasitzt, den Empfänger in den Pratzen und den Knopf im Ohr, idiotisiert von der kubanischen Propaganda. Und die »Venus von Willendorf« – wie treffend doch dieser Einfall meines Elias! –, blind und blöd in ihrer Lustigkeit, gafft mich an mit ihren glasierten Puppenaugen, und dabei steht ihr die klatschmohnrote Papp’n offen.
»Ich habe es ja erlebt, wohin das führt«, orakelte die Greisin mit Nachdruck und versuchte, um eine Denkpause in ihrem Frühstück anzuzeigen, ihre verkrümmten Finger möglichst flach auf das Tischtuch zu legen. »Die beiden Kinder meiner Freundin Hedwig Holzapfel – die Gute ist schon verstorben – waren auch so fanatische Terroristen. Sie haben dabei, wen wundert’s, ihr Leben verloren. Du hast Glück gehabt, lieber Treugott, dich hat deine Dummheit gerettet.« Und da sie nun einmal bei diesem Thema war, zitierte sie mit einer vom Ärger gekräftigten Stimme wieder etwas aus ihrem Wienerlied-Fundus:
Die Menschen zanken und streiten
viel mehr als wie notwendig is’
und machen die Welt sich bei Zeiten
zur Höll’ statt zu an Paradies.
Rotraud war an den Herd zurückgekehrt, die vertraute Melodie mit- und nachpfeifend. Sie prüfte die schmorende Ente im Backrohr und legte Holz nach. Dann holte sie eine gusseiserne Dalkenform aus dem Küchenschrank.
»Schau her, Clementine«, versuchte sie kichernd das strenge Gesicht ihres uralten Sommergasts aufzuheitern und ließ das seltene Kochgeschirr am Holzstiel vor
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