Scherbenhaufen
er sich mit dem Stift den Mund bekleistert hat, signalisiert Jürg Lüthi durch diskretes Räuspern seine Einsatzbereitschaft.
Vater Weihermann kommandiert: »Niklaus, komm’ und erklär’ den Herren, was Sache ist!«
Niklaus Weihermann schleicht folgsam heran und beginnt stockend zu erzählen: »Na, ja. Ich machte an jenem Tag zeitiger Feierabend als gewöhnlich.«
»Wozu?«, fragt Jürg Lüthi.
»Um mich auf den Schlossberg zu begeben.«
»Sie besuchten das historische Museum?«, deutsche ich aus.
»Hm«, bestätigt er nur.
»Wozu?«
Wortlos starrt mich der Töpfer an.
Ich versuche es mit einer anderen Frage: »Warum erst so spät?«
Darauf erhalte ich von Niklaus Weihermann eine knappe Auskunft. »Ich wollte vor Torschluss hinunter.«
»Hinunter? Das Schloss steht auf dem Hügel!«, wendet Jürg Lüthi ein.
»Ja, das Schloss schon«, bestätigt der junge Mann, »aber die Majolika befindet sich unten im Keller. Waren Sie denn noch nie dort, Herr Lüthi?«, wundert er sich.
»Doch«, bestätigt mein Assistent. »Man betritt den Raum über eine Art Empore.«
»Genau. Dort reihen sich Vitrinen mit Geschirr. Weitere Glasschränke stehen im ebenerdigen Bereich.« Allmählich taut der Junge auf. Seine Berichterstattung wirkt flüssiger.
Ich beabsichtige, Niklaus Weihermanns unverhoffte Auskunftsbereitschaft aufrechtzuerhalten. »Das Geschoss ist über zwei unterschiedliche Niveaus verteilt?«
Leider reißt Vater Weihermann die Diskussion an sich. »Der untere Kellerteil liegt direkt auf der Nagelfluh. Es diente bis 1617 als Burgverließ«, ergänzt er. »Danach erfolgte ein Ausbau. Die Decke wurde durch drei Eichensäulen auf Steinsockeln verstärkt. Gleichzeitig wurde ein Durchgang zum Schlosshof erstellt, um den Raum künftig als Fasskeller zu nutzen.«
Lange hat es Papa Plappermann nicht geschafft, die Klappe zu halten, stelle ich fest. Umso mehr überrascht, dass erneut der Sohn fortfährt.
»Ein paar Treppenstufen führen in den tiefer gelegenen Bereich, wo Majolika in einer Schautöpferei bewundert werden kann.«
»… und alte Kutschen und Schlitten und …«
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich unterbreche, Herr Weihermann«, stoppe ich den Töpfermeister. »Wozu wird uns all das derart detailliert beschrieben? Ist es für den angekündeten detektivischen Auftrag von Belang?«
»Und ob«, bestätigt jetzt der Sohn. »Wegen dem Niveauunterschied ist der Ausstellungsraum vom Eingang her nicht vollständig überschaubar.«
Seine Erklärung lässt mich vorerst ratlos. Jürg Lüthi scheint es ähnlich zu ergehen.
»Ansonsten hätte ich Eva rascher retten können«, behauptet Niklaus Weihermann und ergänzt: »Eva ist meine Freundin.«
»Augenblick«, mischt sich Jürg Lüthi ein. »Habe ich Sie eben richtig verstanden? Ihre Freundin hat sich zum Zeitpunkt des Krugbruchs ebenfalls im Ausstellungsraum aufgehalten?«
»Ja, klar. Wegen ihr bin ich überhaupt hingegangen. So mache ich das immer, wenn Eva dort Aufsicht hält.« Niklaus Weihermann huscht ein Strahlen über das Gesicht. »Wir gehen bereits ein halbes Jahr miteinander. Wenn ich es einrichten kann und mich der Vater lässt, hole ich sie im Schloss ab. Eva arbeitet in ihrer Freizeit als Aufseherin. Eigentlich geht sie noch zur Schule. Sie besucht das Gymnasium im Schadauquartier.«
»Auch eines dieser kopflastigen Schattenwesen«, kommentiert Vater Weihermann abwertend. Damit provoziert er die Vorstellung schwarz gewandeter Emos, die übernächtigt durch lange Korridore eines ketchupfarbenen Komplexes geistern.
Das markante Schulhaus mit der roten Fassade steht auf einer grünen Wiese unweit des Sees. Seit der Veröffentlichung des Schelmenromans ›Franz oder warum Antilopen nebeneinander laufen‹ von Christoph Simon, trägt das Gymnasium Thun-Schadau den Übernamen ›Tomatenbunker‹. Inzwischen neutralisiert ein betongrauer Neubau zumindest den Anblick von Süden.
»Schadau im ›shadow‹«, spottet der Alte weiter.
»Spielen Sie auf die Namensfindung an, Herr Weihermann?«, kontere ich betont gelassen. Als ehemaliger Schulmeister meine ich, pädagogische Institutionen per se verteidigen zu müssen.
»Worauf sonst?«, mault Robert Weihermann.
»Dann schildern Sie uns die Umstände.«
Der Heimberger zupft am Bärtchen und windet sich: »So genau kenne ich die auch wieder nicht, Herr Feller«, und entschuldigt sich mit dem verheerenden Bekenntnis: »Ich bin kein Thuner.«
Ein guter Grund, ihm auf die Sprünge zu helfen.
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