Scherbenhaufen
’n See,
jetzt fahr’n wir über ’n See.«
7
»Voilà! Diesen Auftrag hätten wir uns geangelt«, frohlockt mein Assistent.
Jürg Lüthi und ich haben soeben das Atelier der Töpferei Weihermann verlassen. Jetzt kurven wir mit flotten 100 PS zur Detektei in Thun. Sie befindet sich im ersten Stock eines unauffälligen Baus vis-à-vis dem reformiertem Kirchgemeindehaus an der Frutigenstrasse. Zur Liegenschaft gehören drei Besucherparkplätze, die wegen eines sperrigen Kehrichtcontainers leicht übersehen werden und darum für Eingeweihte in der Regel frei bleiben. Allerdings stehen dort seit Wochen und Monaten die Kleintransporter einer überforderten Baufirma, in deren Auftrag unqualifizierte Temporärarbeiter aus nah und fern eine Dachterrasse zu sanieren trachten. Heißer Teer tropft über die Fassade, gelbe Isoliermatten bröseln im Treppenhaus und manch einer der geplagten Bewohner hofft nach der Teerung auf die Federung der Verantwortlichen.
Die Eröffnung eines Geschäftslokals hat sich mit der Zunahme an Mandaten aufgedrängt. Wie hätte ich es weiterhin verantworten können, vertrauliche Absprachen mit Mitarbeiter und Auftraggebern in der Öffentlichkeit der einheimischen Gastronomie abzuhalten? Alternierend zu Jürg Lüthi oder zu mir nach Hause zu pilgern, stellte längerfristig keine befriedigende Alternative dar. Die Kundschaft an der Hofstettenstrasse zu erwarten, noch viel weniger. Es ist mir nämlich nicht entgangen, dass potenzielle Mandanten gelegentlich lange Gesichter zogen, wenn sie für geschäftliche Besprechungen an privater Adresse empfangen wurden.
Seit ich die privatdetektivischen Geschäfte in professionellem Rahmen abwickle, läuft der Laden besser denn je. Das soll er, will ich in Thun eines Tages nicht mehr nur tun, was sich rentiert, sondern was sich lohnt!
Jürg Lüthi parkt vor dem vierstöckigen Flachdachbau und betätigt die ratschende Handbremse. Wir entschlüpfen dem eierschalenfarbenen Nuovo Cinquecento und betreten das senfgelbe Haus durch ein schinkenfarbiges Entree. Wir begeben uns über eine Steintreppe in die erste Etage. Vor verschlossener Tür taste ich in meiner Ledertasche nach dem Wohnungsschlüssel. Fündig geworden, bitte ich meinen Assistenten, einzutreten.
»Hier drinnen muffelt es gewaltig«, stellt dieser uncharmant fest.
Ich brumme eine Entschuldigung, eile zu den beiden Fenstern und reiße die Flügel auf. Von draußen dröhnt das rhythmische Donnern eines Güterzugs, der Richtung Lötschberg rollt.
Das Büro wirkt schlicht und übersichtlich. Kein Wunder, handelt es sich doch bloß um eine umfunktionierte Studiowohnung. Ihre kühle Sachlichkeit soll bei Hilfesuchenden Vertrauen schaffen. Überblick, Durchblick und Einblick stellen in übertragenem Sinn nicht selten zentrale Anliegen der Menschen dar, die hier aufkreuzen. Dass die formalen, räumlichen Raumverhältnisse die inhaltlichen und zeitlichen Möglichkeiten meiner Kundschaft widerspiegeln, darf durchaus als zusätzlicher Pluspunkt gewertet werden.
Rechts vom Eingang befindet sich eine Kochnische. Am kubischen Küchenschrank hängt ein ovaler Spiegel. Der hat mich hier noch nichts Anständiges brutzeln gesehen. Vielleicht liegt es an der fehlenden Mikrowelle.
Straßenseitig steht ein Schreibtisch mit Chromstahlbeinen und dunkelbrauner Tischplatte aus Hartholz. Darauf sind ein Laptop, ein Laserdrucker, eine schwenkbare Schreibtischlampe, ein Telefon mit Festnetzanschluss und ein genügsamer Kaktus platziert. Unter dem Pult habe ich einen großen Papierkorb platziert, Basis jeder vernünftigen Ordnung. Sie gilt mir als das halbe Leben. Die andere Hälfte wird von Unordnung belegt. Die Vormachtstellung chaosfeindlicher Prinzipien entpuppt sich als helvetische Legende. Zwar finden wir in unserem Land zahlreiche Beispiele musterhafter Aufgeräumtheit. In den Kantonen beispielsweise, sorgen Polizisten für Recht und Ordnung, im Bund die Bundesordner. Währende die Ordnungshüter an der Front des Verbrechens kämpfen, füllen die bunten Ringhefter die Regale der Verwaltung.
Trotzdem gelingt nichts und niemandem, furchtbares, wildes, heilloses oder völliges Durcheinander dauerhaft zu unterdrücken. Der wiederholte Ruf nach mehr Ordnung hallt durch eine Gesellschaft, die selbst dem kreativen Chaos misstrauisch begegnet.
Zugegebenermaßen setze auch ich auf Disziplin und Ordnung sowie auf einen massiven Metallschrank, worin ich die Kundenkartei, sämtliche Falldossiers, die
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