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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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denkst. Und ich gebe es zu - als ich Paul gesehen hab, äh, hab ich mich wieder an deinen Vater erinnert.«
    Sie log, doch ihre Erklärung war so gut, dass sie mich traf.
    Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht zu weinen.
    »Sie sehen sich ähnlich, oder?«
    Gianna wackelte abwägend mit dem Kopf.
    »Jein. Dein Vater hatte auch ein bezauberndes Lächeln. Paul ist trotzdem anders. Verspielter. Seine Augen - sie schauen einen weicher an. Und doch so ... hm. Er sieht von der Seite aus wie ein Indianer, ist dir das schon aufgefallen? Ein tolles Profil.«
    Nein, das war mir noch nicht aufgefallen. Aber ich verstand nun, was Gianna vorhin mit der veränderten Welt gemeint hatte. Paul hatte ihr binnen weniger Minuten den Kopf verdreht, und das trotz seines Befalls. Kompliment!
    »Wie war es, als du meinen Vater getroffen hast? Was hat er dir genau erzählt? Du konntest dich die ganze Zeit schon daran erinnern, oder? Und nicht erst seit vorhin?«
    Gianna grinste ertappt. »Ja, okay. Ich geb´s zu. Du warst mir so suspekt in der Kunsthalle, dass ich dachte, es sei besser, die Ahnungslose zu spielen. Es ist schwer, jemanden wie deinen Papa zu vergessen. Aber eigentlich war da nichts Spektakuläres. Er hat mir ein paar Fragen zum Kongress beantwortet, ganz normal, nur - er hat mich dabei angesehen, als ob ...«
    »Was als ob?«, drängte ich.
    »Nicht als wäre er scharf auf mich oder so.« Gianna hob abwehrend die Hände. »Nee, das nicht. Keine Anmache, ich schwöre es. Ich hatte eher das Gefühl, dass er mich abcheckt. Meinen Verstand und mein ... Herz.« Gianna räusperte sich. »Mein Gott, klingt das kitschig.«
    »Nein, tut es nicht«, sagte ich flüsternd. »Ich weiß, was du meinst.«
    So hatte Papa auch mich immer wieder angesehen. »Und sonst war nichts?«
    »Nein. Gar nichts. Er bat mich um meine Visitenkarte, um mir die Kopie seines Vortrags zusenden zu können, was er dann auch tat, knapp und sachlich und höflich, aber sonst - nichts. Ehrlich.«
    Mir blieb für den Moment nichts anderes übrig, als ihr zu glauben. Mein Bauch tat es sowieso. Gianna fasste sich prüfend an die Achseln und verzog das Gesicht.
    »Elisa - mir ist total schlecht und ich hab Schweißflecken unter den Armen und bin kurz vorm Umkippen und stehe unter Schock. Ich muss etwas kochen. Darf ich?«
    Ohne meine Antwort abzuwarten, stand sie auf und verließ das Zimmer. Bevor ich mich zu ihr in die Küche gesellte, machte ich einen Abstecher ins Badezimmer und hielt mein Gesicht unter das eiskalte Wasser, denn es glühte, als würde ich Fieber bekommen. Ich war überdreht und aufgeputscht und mein Kopf platzte vor unbeantwortbaren Fragen.
    Beim Blick in den Spiegel wurde mir auch klar, warum Tillmann sich so königlich über mein Aussehen amüsiert hatte. Meine Augen waren blutunterlaufen, die Haare wellten sich wirr und zerzaust in alle erdenklichen Richtungen und zu meiner tiefen Beschämung klebte ein Popel in der Größe einer Erbse (und so ähnlich sah er auch aus) an meinem rechten Nasenflügel. Ich wischte ihn errötend weg und beschloss, so zu tun, als wäre er niemals da gewesen. Allerdings sollte mir solch ein optischer Fauxpas verziehen werden. Ich hatte gerade eine Ladung Pfefferspray abbekommen. Dafür sah ich noch einigermaßen gesellschaftsfähig aus.
    Nachdem ich mich wiederhergestellt und mich von meiner Brille befreit hatte, setzte ich mich an den Küchentisch und sah Gianna dabei zu, wie sie sich in Rekordgeschwindigkeit in der Küche zurechtfand und mit hochgebundenen Haaren hackte, rührte, schnippelte, briet und dünstete, als gelte es, das Kochduell des Jahrhunderts zu gewinnen. Irgendwie erinnerte sie mich dabei an meine Mutter im Garten und das erleichterte es mir, ihr all das zu erzählen, was sie wissen musste. Über Paul, meinen Vater, Colin, Tillmann und Tessa - und was Nachtmahre bei Menschen anrichten konnten. Dass Paul nicht ganz er selbst war. Dass er sich kaum mehr kannte und eigentlich Medizin studieren wollte, anstatt Bilderrähmchen zu basteln. Die Sache mit Trischen jedoch ließ ich aus. Ich wollte und konnte immer noch nicht frei darüber sprechen. Außerdem war sie für Gianna nicht wichtig. Hier ging es um Paul, nicht um Colin und mich. Gianna hörte stumm zu und legte nur ab und zu Messer und Kochlöffel aus der Hand, um sich an die Brust zu greifen und ein monotones Ave-Maria herunterzurattern.
    Sobald es am Herd nichts mehr für sie zu tun gab, weil Soße und Spaghetti nun alleine vor sich hin

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