Scherbenmond
ein Fake gewesen sein. Ein simpler Studiodreh. Aber die Menschen glaubten es, weil sie es glauben wollten. An die Existenz von Mahren jedoch will niemand glauben. Außerdem sind Paul und François Lebenspartner, oder?«
»Ja. Leider.« Ich hatte richtiggelegen. Gianna war nicht auf den Kopf gefallen. Im Moment war sie mir sogar ein bisschen zu schlau. Ihre Hypothesen waren niederschmetternd.
»Damit sind wir beim zweiten Punkt. Paul würde es nicht wahrhaben wollen. Ich war auch blind, als ich noch mit meinem Ex zusammen war. Und er hat mich wie Dreck behandelt. Jeder hat mich gewarnt. Ich wollte es nicht hören. Bei Paul kommt erschwerend hinzu, dass er eine schwule Beziehung führt und die meisten Leute diesbezüglich Berührungsängste haben. Er wird immer denken, dass wir ihn umdrehen wollen und deshalb François schlechtmachen.« Gianna schüttelte den Kopf. »Das bestärkt ihn nur.«
Jetzt brauchte ich den Rest des Ramazzottis. Alles umsonst? Tillmann hatte sich mit dem Kokain beinahe das Hirn weggeblasen und es hatte nichts genützt?
»Das heißt, du kannst gar nichts für uns tun?«
Gianna hob erstaunt den Kopf. »Was soll ich denn bitte für euch tun?« Ohne hinzusehen, füllte sie sich nach und nahm einen kräftigen Schluck.
»Na ja, ich hab dich in erster Linie deshalb angesprochen, weil ich die Hoffnung hatte, du könntest vielleicht einen Bericht über Nachtmahre in die Presse bringen.«
Gianna lachte verdutzt auf. »Wenn ich Wert drauf lege, meinen Job zu verlieren, kann ich es ja mal versuchen. Die warten doch nur darauf, dass ich irgendeinen Mist schreibe. Ellie, schlag dir das aus dem Kopf. Ich bin ein Niemand. Ich würde mich damit für alle Zeiten disqualifizieren. Das Einzige, was ich dir anbieten kann, ist ein fieser, abwertender Bericht über zwei überdrehte Teenager, die fest daran glauben, dass es Nachtmahre gibt. Für die Klatschspalte auf
Seite 3. Aber ich nehme mal an, dass du nicht an so etwas dachtest, oder?«
»Danke, nein.«
Giannas Miene verdüsterte sich und eine steile Falte trat auf ihre Stirn, bevor sie den Rest des Gläschens leerte. Sie begann leicht zu schielen.
»Sag mal, was meinen Ex betrifft ... Im Nachhinein betrachtet war das auch ein Freak. Ein echter Psychopath. Und ich ... na ja. Ich hab mich von ihm manipulieren lassen, bis ich nicht mehr wusste, wer ich bin.« Sie blickte fragend zu mir auf. »Ob er auch ...?«
»Glaub ich nicht. Ich weiß es natürlich nicht, aber François’ Verhalten ist sehr ungewöhnlich. Normalerweise zeigen sich die Mahre den Menschen nicht. Sie kommen nachts, wenn wir fest schlafen, und die Opfer kriegen nichts davon mit.«
»Dann muss deine Beziehung wirklich sehr kompliziert sein.« Gianna kicherte. »Kein Wunder, dass ihr noch nicht miteinander pimpert.«
»Das hat andere Gründe!«, erwiderte ich heftig, doch Gianna konnte kaum mehr aufhören zu kichern. Ich schob es auf den Alkohol. »Abgesehen davon - Colin pimpert nicht. Ein Pandabär pimpert vielleicht oder eine Meerkatze. Aber nicht Colin.«
»Nenn es, wie du willst - poppen, Rohr verlegen, Steckerle spielen ...«
»Steckerle spielen?«
Gianna spülte einen weiteren Ramazzotti hinunter und wollte uns beiden nachschenken, doch ich hielt warnend meine Hand über das Glas. Ich war für heute bedient.
»Stammt von meiner Chefin aus der Kulturredaktion. Jedenfalls geht es doch immer nur darum. Die Männer halten sich für die Krone der Schöpfung und wollen jeden Acker bestellen, den sie anschließend niedertrampeln können. Prost!«
»Colin nicht.« Diese Worte konnte ich im Brustton der Überzeugung sagen, denn sie stimmten. Befruchtungstechnisch war Colin wahrhaftig kein typischer Mann. »Außerdem ernährt er sich von Tierträumen. Ansonsten lebt er wie ein Mensch. Er versucht es wenigstens. Aber wenn er Menschenträume essen würde, würde er sich seinen Opfern auch nicht zeigen.«
»Also doch ein bisschen wie Edward«, gackerte Gianna. »Glitzert er, wenn er sich in die Sonne stellt?«
»Nein, aber seine Haare bekommen rötliche Strähnen und seine Augen werden türkis«, antwortete ich betont geduldig. Die Sommersprossen verschwieg ich; sie würden Gianna nur Anlass zu neuer Häme geben.
»Wie praktisch!« Gianna goss sich ein viertes Mal nach, obwohl sie meiner Meinung nach mehr als genug getankt hatte. Seufzend zog ich nach. »Wir färben uns mühevoll die Haare, weil Strähnchen en vogue sind, und kriegen Kopfhautreizungen und er stellt sich eben mal in
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