Scherbenmond
Bagelshop. Und nicht ich fuhr Colin an die Küste, sondern er uns. Denn sonst wäre der Sekundenschlaf ein ständiger Begleiter am Steuer gewesen.
Gähnend und unsere roten, brennenden Augen reibend hingen wir in den Sitzen, ich vorne, Gianna, Paul und Tillmann wie die Hühner auf der Stange hinten, nachdem Colin an einem McDonald´s haltgemacht und uns geweckt hatte.
»Irgendwelche Sonderwünsche?«, fragte er. Gianna hielt ihre Lider mit den Fingerspitzen nach oben und begutachtete kritisch die rötlichen Strähnen in seinem dunklen Haar.
»Hmpfgrm«, brummelte Paul. »Eis. Shake. Oder so.« Seine Feindseligkeit hatte sich deutlich gemindert, nachdem Colin und ich aus dem Wald gekommen waren - allein durch Colins wiederhergestelltes Aussehen. Trotzdem würde er keine Ruhe geben. Ich wusste es.
»Pommes müssen dabei sein«, lallte Tillmann. »Mit Mayo.«
Ich nickte bestätigend, weil Sprechen eine Sache war, die eindeutig zu viel Überwindung und Energie kostete.
Sobald Colin den Wagen verlassen hatte und auf das Schnellrestaurant zulief, milderte sich die bleierne Trägheit in uns. Leider sorgte das Erwachen meines Körpers auch dafür, dass ich den zersplitterten Knochen in meiner Hand wieder spürte. Paul hatte ihn vorhin untersucht und beteuert, dass man ihn problemlos richten könne und er am liebsten höchstpersönlich die Schraube hineindrehen würde. Nie hatte mich eine Gewaltandrohung seinerseits glücklicher gemacht.
Gianna drückte neugierig ihre Nase an die Scheibe, um Colin hinterherzugaffen. Eine Handvoll übermüdete Jugendliche, die offensichtlich die Nacht durchgemacht hatten und mit ihren Papiertüten in der Hand an einem getunten Opel herumlungerten, fingen an zu streiten, als er an ihnen vorbeiging. Eines der Mädchen wurde blass und warf ihren angebissenen Hamburger in den Papierkorb, als sei ihr plötzlich übel geworden.
Dennoch war es ein gänzlich faszinierendes Erlebnis für uns, Colin nach all dem Schrecken der vergangenen Nacht bei etwas geradezu ernüchternd Alltäglichem zu beobachten.
»Das nenne ich mal ein knackiges Hinterteil«, raunte Gianna anerkennend. Sie verrenkte sich beinahe den Nacken, als sie Colin einzufangen versuchte, wie er mit dem Rücken zu uns an der Kasse stand und seine Bestellung aufgab.
»Und was ist mit meinem?«, fragte Paul. Es klang nicht eifersüchtig. Ein gutes Zeichen, oberflächlich betrachtet. Denn er wusste wahrscheinlich bestens, dass Gianna sich nie wieder mit jemandem einlassen würde, der Frauen potenziell Gewalt antat. Jede Eifersucht war überflüssig, wie auch immer sein Hintern beschaffen sein mochte.
»Deiner ist völlig ausreichend«, beruhigte Gianna ihn. »Außerdem verfärbst du dich nicht lila, wenn du hungrig bist.«
»Colins Hinterteil gehört sowieso mir.« Auch meine Augen hatten sich mal wieder in seiner eleganten Statur verloren. Jetzt schallte das Kreischen eines Babys zu uns herüber. Die gestressten Eltern nahmen es auf den Arm und verließen den Tisch auf der schäbigen Terrasse, ohne fertig zu essen. Gianna schaute ihnen mitleidig nach.
Colin warf uns die Tüten durch das Autofenster und wartete ein paar Meter abseits, damit wir beim Kauen nicht einnickten. Ich war froh, dass er Paul und Gianna während der Fahrt hatte schlafen lassen, denn das hatte mir jede Menge Diskussionen erspart. Auf mich hatte sein Erscheinungsbild keinen so großen Einfluss wie auf die anderen und das Fleisch stärkte mich zusätzlich.
Nach unserer Proviantpause fühlte ich mich in der richtigen Verfassung, um ein Gespräch zu beginnen, doch ich wollte warten, bis die anderen eingeschlafen waren. Diesmal aber ging es nicht so schnell. Ich äugte misstrauisch zu Colin hinüber, weil ich mich fragte, ob er etwas damit zu tun hatte, doch er richtete seinen dunklen Blick fast teilnahmslos auf die Straße. Erneut schaute ich über den Rückspiegel nach hinten. Giannas Lider waren geschlossen, zuckten aber unruhig. Bei meinem ersten Wort würde sie ihre neugierigen Ohren spitzen. Auch Paul und Tillmann befanden sich lediglich in einem flachen Schlummer. Doch ich hatte keine Geduld mehr, auf ihren Tiefschlaf zu warten, löste meine Augen vom Rückspiegel und fixierte Colins Ohrringe.
»Du willst also wieder abhauen«, begann ich seufzend.
»Von Wollen kann keine Rede sein. Es bleibt mir nichts anderes übrig.«
»Das wissen wir doch gar nicht! Gut, jetzt im Moment... sehe ich ein. Wir brauchen eine Pause. Aber generell gesehen
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