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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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strahlten wie Diamanten. Er war satt. Ich aber wollte nie wieder essen. Nie wieder. Noch immer klebte der Leichengeruch in meiner Nase und die Augen des Mädchens würde ich mein Lebtag nicht vergessen. Deshalb wollte ich, dass mein Lebtag heute endete.
    Hol mich, dachte ich, als ich starr in die Nacht sah, während das Boot durch die offene See pflügte. Hol mich endlich. Bring uns zum Sinken. Ertränke mich. Aber der Sturm zeigte keine Gnade. Er ließ mich am Leben.
    Immer wieder zwang mich Colin, Luft zu holen, beugte meinen Nacken zurück und ließ seinen kühlen Atem in meine Kehle strömen, während ich regungslos verharrte.
    Dann, urplötzlich, packte mich die blanke Panik. Ich schrie, bis ich heiser war, versuchte, meine Fesseln zu sprengen, um aus dem Boot springen zu können, doch Colin zeigte ebenso wenig Gnade wie der Sturm.
    Der Ekel und die Panik krochen in meinen Kopf hinauf, weil mein Herz sie nicht mehr fassen konnte, und als das Boot durch die Eisschollen der Fleete gejagt war und Colin mich die Treppen hinauf zur Wohnung meines Bruders trug, war ich von Sinnen vor Schmerzen. Glühende Lanzen schienen sich durch meine Schläfen zu bohren, und jeder Atemzug, den ich nur widerwillig tat, verschärfte die grelle Pein hinter meiner Stirn. Es waren die Bilder, diese grauenvollen Bilder - sie mussten dort raus ...
    Als Paul die Tür öffnete, befreite ich mich mit schier unmenschlicher Kraft aus Colins Armen, robbte in den Flur und begann wimmernd, meinen Schädel gegen die harte Wand zu schlagen.
    »Ich hab es gewusst...«, drang Pauls Stimme wie aus weiter Ferne in meine zerstörte Welt. »Sie hat ihren Verstand verloren ... Heute Morgen hat sie die Mauer in meiner Küche zertrümmert, einfach so, dann ist sie mit meinem Porsche abgehauen, sie schläft auf einem meiner Bilder ...«
    »Deine Schwester ist nicht verrückt, Mann«, schnitt Colin ihm kalt das Wort ab. »Ihr Verstand ist klarer, als du ahnst, und genau das ist das Problem. Hast du Morphium da? Schlafmittel? Sie darf nichts träumen, nicht jetzt...«
    Colin versuchte, mich von der Wand wegzuziehen, doch ich trat schreiend um mich. Ich wollte nicht, dass er mich berührte, niemand sollte mich berühren, niemand. Aber sie waren stärker.
    Obwohl ich ihnen und mir das Gesicht zerkratzte, nach ihren Händen biss und unaufhörlich strampelte, trugen sie mich zu meinem Bett und banden mich darauf fest.
    »Ich kann ihr die Spritze nicht setzen, wenn sie so zappelt«, keuchte Paul verzweifelt.
    »Ich will keine Spritze!«, brüllte ich, doch meine Stimme war nur noch ein schwaches, tonloses Kreischen.
    »Ich fixiere sie. Beeil dich!« Mit unerbittlicher Härte presste Colin meine Arme und Beine auf die Matratze. Dann spürte ich einen leichten, beinahe kitzelnden Stich in der Vene und schon wurde das Pulsieren in meinen Schläfen milder.
    »Lasst mich sterben, bitte«, bettelte ich, doch Paul schob mir eine kleine Pille in den Mund und strich mir wie einem kranken Tier über die Kehle, damit ich sie schluckte.
    »Schlaf jetzt, Lassie«, hörte ich Colin flüstern, bevor die Schwärze um sich griff. »Ich verspreche dir, dass du nicht träumen wirst.«

Gemütskrank
    »Er soll still sein! Sag ihm, dass er still sein soll!«
    Es war mir vollkommen gleichgültig, dass François mich so sah, wie ich eben aus dem Bett gestiegen war - in einem ausgebeulten alten Pyjama von Paul, ungewaschen und mit wild zerzausten Haaren. Wenn er nur endlich aufhören würde zu reden! Seine Stimme drohte meinen Kopf bersten zu lassen. Und der brachte mich schon seit Tagen um den Verstand. Die Schmerzen fraßen sich in mein Gehirn hinein. Alles, was ich wollte, war, sie zu stoppen. Sonst wollte ich nichts mehr. Gar nichts mehr. Mein Kopf war zu meinem ärgsten Widersacher geworden seit Trischen. Trischen ... oh Gott. Warum erinnerte ich mich überhaupt noch daran? Das durfte ich nicht.
    »Ach herrje, die schon wieder«, nölte François naserümpfend und ich presste wimmernd meine flachen Hände auf die Schläfen. »Willst du sie nicht mal ...?« François machte eine Bewegung mit seiner hageren Schulter, die eindeutig »abschieben« bedeutete. Abschieben in eine Klinik. Wegsperren.
    Paul stöhnte entnervt auf.
    »Ellie, bitte geh zurück ins Bett, wir müssen etwas Wichtiges besprechen und du solltest dich eigentlich ausruhen.«
    »Könnt ihr das nicht woanders tun?«, fragte ich matt. Meine Stimme hörte sich so zerbrochen an, dass ich bei ihrem Klang erschauerte.
    »Du

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