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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Bruder wechselte, ein kurzer, sachlicher Dialog, dann klappte die Tür. Es würde ein paar Stunden dauern, bis das Medikament wirkte, hatte Dr. Sand gesagt. Ein paar Stunden - das war zu viel. So lange würde ich nicht warten können. Aber wenn ich zwei vorm Einschlafen nehmen durfte - und ich wollte schlafen, obwohl es erst später Nachmittag war -, würden drei oder vier mich nicht töten, obgleich mir das herzlich egal gewesen wäre. Ich drückte sie mit bebenden Fingern aus ihrer Plastikhülle und stopfte sie in den Mund. Mit dem letzten Schluck Wasser spülte ich sie meine trockene Kehle hinunter, gerade rechtzeitig, bevor Paul ins Zimmer kam.
    »Geht es dir nun ein bisschen besser?« Er wirkte beinahe erlöst, als habe ihm jemand eine schwere Last von den Schultern genommen. »Ich bin so froh, dass du endlich Hilfe zulässt, Ellie. Du hättest mir früher sagen können, dass du bei ihm in Therapie bist.«
    »Ich hab mich halt dafür geschämt«, redete ich mich heraus.
    »Es gibt keinen Grund, sich für eine Krankheit zu schämen. Keinen einzigen. Hör mal, ich muss mit François unbedingt den Katalog vorbereiten, wir haben einen wichtigen Kunden in Dubai, der darauf wartet. Ich überlasse dir die Entscheidung: Entweder kommt François hierher oder ich fahre zu ihm. - Aber ich warte natürlich, bis du eingeschlafen bist!«
    Paul hörte sich müde an. Er hatte jede Nacht bei mir gesessen, auf dem schmalen Gästebett, das er gegenüber von meinem an die Wand gestellt hatte (ich hatte mich geweigert, in seinem Bett zu schlafen, sein Zimmer löste Angst in mir aus), und Wache gehalten, bis die Tabletten wirkten und ich tief und fest geschlummert hatte. Er war mir nicht von der Seite gewichen, hatte mich gezwungen, zu essen und zu trinken, weil ich sonst gar nichts zu mir genommen hätte. Ich wog kaum mehr fünfzig Kilo. Mir war klar, dass ich Paul in Beschlag nahm. Ich war sein neuer Full-Time-Job.
    François war außer sich deswegen. Und sowenig ich François auch mochte und vertraute, sosehr mich der Gedanke, dass die beiden sich liebten, verstörte: Sie waren ein Paar und Paul wollte ihn sehen. Ich konnte ihn nicht zwingen, bei mir zu bleiben. Und die Tabletten unter meinem Kopfkissen beruhigten mich. Schon bald würde ich die Kälte des Eises nicht mehr spüren.
    »Du kannst gerne zu ihm gehen. Das ist mir lieber, als wenn er hier ist. Musst nicht warten, bis ich schlafe«, murmelte ich. Doch Paul blieb. Die Tabletten wirkten schneller, als ich zu hoffen gewagt hatte. Sanfte Watte legte sich um meinen Körper. Meine Gedanken, ohnehin taub und stumpf, verloren jegliche Form. Das Letzte, was ich hörte, war das Klacken der Tür und der aufheulende Motor des Porsche. Der Porsche ... wieso war er wieder da? Wer hatte ihn gebracht?
    Doch auch dieser Gedanke verlor seine Farbe wie ein Tropfen Tinte im Meer und ich ließ mich dankbar in die vollkommene Leere meines Schlafs fallen.

Katharsis
    »Wach auf.«
    Ich reagierte sofort und fragte mich im gleichen Augenblick, warum ich es tat. Es passte nicht. Hatten die Tabletten etwa schon ihre Wirkung verloren, mitten in der Nacht?
    Ich öffnete meine brennenden Lider. Eine dunkle Gestalt saß auf dem Fensterbrett. Kalte, modrige Luft strömte ins Zimmer und kurz glommen zwei Augen auf wie Kohlestücke, die in der Glut schwelten.
    Ich haute so fest auf den Lichtschalter, dass die Lampe ins Schwanken geriet und gegen die Wand kippte.
    »Du!«, keifte ich ihn an. »Du ... wagst es hierherzukommen, mich zu wecken, du weckst mich?«
    Colin erwiderte nichts. Langsam ließ er sich von der Fensterbank gleiten, ohne den Blick von mir abzuwenden. Oh, er sah immer noch blendend aus. Gesund, erfrischt, stark. Ja, er war das blühende Leben, zwar totenbleich, aber voller Kraft und Anmut. Seine Haare züngelten.
    »Mein Gott, Ellie ...«, sagte er leise. »Dein Anblick zerreißt mir das Herz.«
    »Was für ein Herz?«, fauchte ich. »Sag, was für ein Herz? Es schlägt nicht! Rede keinen Unsinn, Colin, du hast kein Herz - und wage es ja nicht, mich anzufassen!«
    Er war mir nicht einmal nahe gekommen und doch wich ich bis an das Fußende des Bettes zurück. Reglos blieb er am Fenster stehen.
    »Warum klingelst du nicht an der Tür wie jeder andere Mensch auch?«
    »Du hättest mich nicht gehört«, antwortete Colin ruhig. »Und erst recht hättest du nicht geöffnet. Außerdem möchte ich keine Spuren hinterlassen.« Ich winkte ab. Wen interessierte das denn? Spuren? So ein

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