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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Kampf. Aber es gäbe da eine weitere Möglichkeit...«
    »... die ich nicht genau kenne und die ich dir auch nicht erzählen werde.« Ich spürte, wie Colins Muskeln sich anspannten. Das Rauschen in seinem Körper wurde unregelmäßiger. Sein Hunger kehrte zurück. Und die Nacht war noch lange nicht vorüber. Frustriert schwieg ich. Mir schwante, dass an diesem Punkt nicht viel zu machen war, und ich fühlte mich auf einmal restlos überfordert.
    Colin drehte sich zu mir um. Mit Schrecken sah ich, dass seine Augen rötlich glühten. Es war kein gesundes Glühen. Er brauchte neue Nahrung. Ich konnte fühlen, wie meine bloße Anwesenheit seinen Hunger ins Unermessliche wachsen ließ. Vorsichtig rückte ich von ihm ab. Er schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Das allein hilft nichts. Du erfüllst den ganzen Raum. Das alles hat dich nur stärker gemacht, Ellie. Der Kampf gegen Tessa, der harte Winter. Deine Träume. Ich spüre diese Stärke, auch wenn du sie nicht wahrnimmst. Und das Jagen ist so schwierig geworden im Meer. Es ist zu warm, die Fische sind schwach, sie fühlen sich nicht mehr wohl, sind fast nur noch auf der Flucht vor euren Netzen. Wale habe ich keine finden können. Sie haben wenigstens echte Träume ... Ich bringe dich jetzt zurück an Land und dann ...«
    »Nein! Nein. Vergiss es. Ich weigere mich. Du kriegst mich hier nicht weg.« Ich schlang meine Finger um die Eisenverstrebungen des Bettes, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war. Neben mir saß ein Dämon. Er konnte sie vermutlich lösen, indem er kurz dagegenpustete.
    »Verflucht noch mal, du stures Weib!«, brüllte Colin. Es war das erste Mal, dass er seine Stimme gegen mich erhob, und schön fand ich es nicht. »Du bist in Gefahr bei mir, begreifst du das nicht?«
    »Oh doch, das begreife ich sehr wohl. Aber ich gehe nicht zurück auf das Boot, nicht jetzt, nicht bei diesem Sturm. Ich lasse mich lieber von dir ausrauben, als zu ertrinken, denn ich weiß, wie es ist...« Meine Stimme brach, als ich an meine Albträume dachte. Es war quälend genug, sie immer wieder zu durchleben; beinahe jede Nacht suchten sie mich heim. Doch meine Träume, Gefühle und Erinnerungen waren auch das, was ich in die Waagschale werfen konnte.
    »Wir könnten es kontrolliert tun. Ich schenke dir eine meiner Erinnerungen. Noch bist du nicht so ausgehungert wie damals in der Klinik ...«
    Colin packte mich an den Schultern und schüttelte mich, als wolle er mich zur Besinnung bringen. Er tat mir nicht weh dabei, aber ich versuchte dennoch, mich zu befreien.
    »Ellie, du weißt nicht, was du da sagst!«, rief er drohend.
    »Doch. Ich weiß es. Und ich möchte es tun. Es ist meine freie Entscheidung. Bitte, Colin, ich bitte dich darum. Ich will hier nicht allein bleiben und ich will erst recht nicht raus aufs Meer. Es macht mir Angst!«
    Sah er nicht, wie sehr? Er musste mir doch glauben! In meiner Not schlug ich meine Faust gegen die Wand der Hütte, tat mir aber nur weh dabei. Zornig trat Colin einen kleinen Hocker um, der in hohem Bogen durch den Raum schoss und dann gegen die Spüle krachte. Doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken.
    »Colin, bitte. Es kann nicht schlimmer werden als der Traum, in dem du mich hast sehen lassen, wie Tessa sich dich nahm, wie sie dich verwandelt hat, und das habe ich auch überlebt.«
    Es konnte nicht schlimmer werden als eine zweite Fahrt über das offene, tosende Meer. Und es konnte nicht schlimmer werden, als mich noch einmal von Colin auf ungewiss zu verabschieden. Ich wollte bei ihm bleiben. Finster sah er mich an. Dachte er vielleicht doch darüber nach?
    »Ich weiß sogar schon, welche meiner Erinnerungen ich dir geben würde ...«, redete ich ermutigt weiter. Das Rauschen in Colin schien darauf zu reagieren. Es bezirzte mich, klang wie Musik. »Ich sehe sie deutlich vor mir. Du kannst sie dir ganz schnell nehmen. Wahrscheinlich merke ich es gar nicht. Ich habe damals ...«
    Colin beugte sich vor und legte mir seine kalte Hand auf den Mund. »Seht. Schweig. Indem du sie verrätst, nimmst du ihr ihre
    Stärke. Wir wollen nicht genau wissen, was uns erwartet, wenn wir rauben. Das macht es nahrhafter.« In seiner Stimme lauerte die Gier.
    »Heißt das, du tust es?«, rief ich hoffnungsvoll. Das Rauschen in seinem Körper hatte sich zu einem hitzigen Pulsieren gesteigert, das von Sekunde zu Sekunde schriller wurde und mich dennoch zunehmend betörte. Ich wollte mich an ihn lehnen, doch er stieß mich von sich.
    »Zum Teufel, Ellie

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