Scherbenmond
war bei ihm, als ich zu dir sagte, ich würde putzen gehen. Er praktiziert hier in Hamburg, er ist Schlafmediziner und ich hab doch diese furchtbaren Albträume und dann die ganze Sache mit den Mahren ... « Paul stockte und ließ das Handy sinken.
»Wie heißt er?«, fragte er argwöhnisch. Er glaubte mir nicht.
»Dr. Sand, er arbeitet im Jerusalemkrankenhaus. Lass dich mit ihm verbinden, sag ihm meinen Namen ... dass er herkommen soll ... au, mein Kopf ...«, stöhnte ich. Es war wieder schlimmer geworden, obwohl François gegangen war. Bei jedem einzelnen Atemzug, jedem Wort, jeder Regung meines Gesichts raste der Schmerz in die Schläfen und rotierte wie eine Turbine durch meinen Schädel.
Eine halbe Stunde später saß Dr. Sand an meiner Bettkante und blickte mich sorgenvoll an. Doch auch Paul stand noch im Zimmer.
»Paul, kannst du mir ein Glas Wasser holen?«, bat ich ihn. Ich musste ihn loswerden, um offen reden zu können. Er nickte und verschwand.
»Colin, der Cambion ...«, flüsterte ich gehetzt. »Ich hab ihm eine meiner Erinnerungen geschenkt, weil er hungrig war, und dann -dann ist etwas passiert, das ... seitdem bin ich so! Ich habe diese Schmerzen und ich will nicht träumen, auf keinen Fall, und ich brauche Tabletten, ich brauche sie wirklich!« Pauls Schritte näherten sich.
»Würden Sie uns einen Moment allein lassen, Herr Fürchtegott?«, bat Dr. Sand Paul höflich, nachdem er mir das Wasser auf den Nachttisch gestellt hatte. »Wir können anschließend gerne alles zusammen bereden, aber im Zuge der Therapie ist es geschickter, wenn ich erst unter vier Augen mit der Patientin spreche.«
Das verstand Paul und so warteten wir schweigend, bis er sich in die Küche zurückgezogen hatte.
»Was genau ist passiert, Elisabeth? Sie müssen versuchen, sich zu erinnern.«
»Nein, bitte nicht!«, rief ich mit zitternder Stimme. Ich wollte nicht einmal daran denken, mich zu erinnern. »Da ist überall ... es ist wie eine Eisschicht, ich kann sie nicht durchbrechen, aber ich weiß auch, dass es mich umbringt, wenn ich sie durchbreche. Deshalb brauche ich die Tabletten. Wenn ich sie nehme, spüre ich dieses Eis nicht mehr.«
Besser konnte ich es nicht erklären. Entmutigt sank ich ins Kissen zurück.
»Sie verdrängen etwas, Elisabeth.«
»Das weiß ich auch!«, blaffte ich Dr. Sand an. »Mein Körper und mein Kopf tun es für mich. Ich kann nichts dagegen ausrichten.«
Dr. Sand atmete tief durch, unternahm aber keinen Versuch, mich zu berühren, wofür ich ihm sehr dankbar war. Ich hätte ihm meine Nägel über den Arm gezogen, wenn er es getan hätte. Seinen hellgrauen Augen wich ich aus, doch ich spürte, dass sie mich unablässig durchleuchteten.
»Gut, Elisabeth. Ich lasse Ihnen etwas hier. Nehmen Sie dreimal am Tag eine Tablette, mit einem Glas Wasser. Schlucken, nicht kauen. Es wird ein paar Stunden dauern, bis sie wirken. Sie müssen Geduld haben, aber dann werden sie Ihnen helfen. Sobald Sie sich besser fühlen, kommen Sie zu mir in die Sprechstunde.«
Er klappte seinen Koffer auf, kramte eine Weile darin herum und legte mir schließlich eine Schachtel Pillen auf den Nachttisch.
»Wenn es abends besonders schlimm sein sollte, können Sie auch zwei nehmen. Nicht mehr, in Ordnung? Und sagen Sie Ihrem Bruder nichts davon. Er scheint ein Tablettengegner zu sein. Das mag in vielen Fällen richtig sein, in Ihrem jedoch nicht.«
»Danke ...«, seufzte ich. Ich nahm sofort die erste Pille. Sie hatte einen schwachen, würzigen Geruch, der mir irgendwie bekannt vorkam, doch ich machte mir nicht die Mühe, darüber nachzudenken. Ich wollte nur noch schlafen.
»Elisabeth ...«, begann Dr. Sand behutsam. »Dieser Mahr, Colin ... Haben Sie ihn seit diesem - Ereignis gesehen oder gesprochen?«
»Nein«, antwortete ich abweisend. »Und das will ich auch nicht.«
»Vielleicht müssen Sie das aber, um herauszufinden, was passiert ist. Ist er denn in der Stadt?«
»Ich weiß es nicht ... Es interessiert mich nicht. Er soll bleiben, wo der Pfeffer wächst.« Mein Herz schlug schneller, weil es die Lüge erkannte, und befreite sich einen Moment aus der Trägheit meines Körpers. Doch das Eis schob sich über seine Empörung und zwang es, zu seinen langsamen, widerwilligen Schlägen zurückzufinden.
Ich legte die Tabletten unter mein Kopfkissen, drehte mich zur Wand und schloss die Augen, um Dr. Sand zu bedeuten, dass er gehen konnte. Und das tat er auch. Ich hörte, wie er einige Worte mit meinem
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