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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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von Hand im Waschbecken. Ebenfalls mit Shampoo. Denn davon war ausreichend da, seit Laura vor einigen Wochen ein Sonderangebot im Viererpack angeschleppt hatte.
    Die Chucks waren noch immer feucht. Was sie jetzt auf keinen Fall brauchen konnte, war eine Erkältung. Dann konnte sie die Putzstelle und damit Berlin vergessen. Und nach Berlin wollte sie unbedingt. Etwas Neues sehen, Party machen, lachen und lustig sein, einfach Spaß haben. Wie jeder andere in der Klasse auch. Sie musste das Geld dafür zusammenbekommen.
    Einmal hatte sie heute schon in den Sachen ihrer Mutter gewühlt. Beim zweiten Mal fiel es ihr bereits leichter. Aus Lauras Schrank zog sie schwarze Stiefeletten. Abartig hässliche Teile, mit Glitzerapplikation. Auch schon egal, Hauptsache, sie hatte warme Füße. Und da sie schon dabei war, suchte sie noch nach einer warmen Jacke, fand aber keine. Die Schichten aus zwei T-Shirts und Pulli mussten genügen. Sandra schlüpfte in die Jeansjacke, wickelte einen Schal um den Hals und machte sich auf den Weg ins Einkaufszentrum.
    Im Discounter kaufte sie Nudeln, Dosentomaten, Milch, Brot, Marmelade, zwei Tafeln Schokolade und sogar etwas Wurst. Als sie an Petras Obststand vorbeikam, entdeckte sie Mandarinen. Für eine oder zwei würde das Geld noch reichen.
    Petra erkundigte sich wieder nach Laura. Sandra wärmte die Lüge vom Kurs auf, den Laura angeblich besuchte, und damit verflog der letzte Funken ihrer guten Laune. Sie kaufte zwei Mandarinen. Petra legte wortlos noch zwei weitere in die Papiertüte.
    Was sollte das denn? Sie war keine Bettlerin! Sie war nicht hilfsbedürftig! Sie wollte keine Almosen! Einen Moment war sie versucht, die Mandarinen aus der Tüte zu holen und Petra an den Kopf zu schmeißen. Doch die meinte es ja nur gut und irgendwie fehlte Sandra plötzlich die Kraft. Die Wut erlosch ebenso schnell, wie sie aufgeflackert war, und machte einer stumpfen Kraftlosigkeit Platz.
    Mit gesenktem Kopf ging Sandra durch das Einkaufszentrum, vorbei an Modeläden, einer Drogerie und Parfümerie und unzähligen Ständen mit Essen. Überall roch es nach Köstlichkeiten. Nach Kaffee, nach Obst, nach Pizza und Brot, nach Fisch und Käse, nach Gebäck und Döner. Gesprächsfetzen wischten an Sandra ebenso vorbei wie die Schemen der Menschen. Wie unter Wasser nahm sie ihre Umgebung wahr.
    Wie lange konnte sie noch durchhalten? Im Juni wurde sie achtzehn. Noch über sieben Monate. Und dann? Dann war sie zwar volljährig, aber wäre sie auch in der Lage, sich weiter um Vanessa zu kümmern wie eine Mutter? Wie sollte das gehen, wenn sie im Herbst auf die Fachoberschule wechselte? Sie könnte Vanessas Vater um Hilfe bitten. Doch Bert hatte eine neue Familie gegründet und zeigte mit seinem permanenten Desinteresse sehr deutlich, dass Vanessa zu seinem alten Leben gehörte, unter das er einen Schlussstrich gezogen hatte. Wenn es hochkam, gab es ein Geschenk zu Weihnachten und eines zum Geburtstag. Gesehen hatte er Vanessa das letzte Mal vor beinahe zwei Jahren. Und dann gab es natürlich noch Sandras Vater Kai, den Betrüger, der im Gefängnis gesessen hatte und dem sie ihr Unglück überhaupt erst verdankten. Sandra erinnerte sich kaum noch an ihn. Sie wusste nicht einmal, wo er jetzt wohnte. Das war gut so. Ihr Vater war für sie gestorben.
    Es gab also nur zwei Möglichkeiten. Entweder Laura wurde wieder vernünftig und kam zurück nach Hause oder Sandra musste wirklich zum Jugendamt gehen. Und damit waren ihre Überlegungen, was die Lösung des Problems betraf, wieder am Anfang angelangt und drehten sich in Endlosschleife. Sie fühlte sich schwindlig und benommen. So wie dieser Esel sich fühlen musste, den sie neulich im Fernsehen gesehen hatte. Ewig im Kreis trottend, hielt er eine Wasserpumpe irgendwo in Afrika in Gang. Ewig im Kreis trottend, versuchte sie, eine Art Alltag für sich und Vanessa in Gang zu halten. Eine Frau rempelte sie an und riss Sandra aus ihren Gedanken.
    Zeit heimzugehen. Weiter vorne gab es einen kleinen Menschenauflauf. Sandra wollte gerade einen Bogen darum machen, als sie eine Stimme hörte, die sie nur zu gut kannte. Sie blieb stehen. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals.
    Auf einer der Bänke, die die breiten Gänge des Einkaufszentrums in zwei Laufrichtungen teilten, saßen Laura und Ulf und stritten sich lautstark. Sandra schnappte nur Satzfetzen auf.… kann dir doch egal sein… mein Geld… Wie immer war Laura zu dick geschminkt. Sie trug aufgekrempelte Jeans zu

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