Scherbenparadies
informiert. »Das ist schon okay. Wo sind die Putzsachen und was soll ich machen?«
Nur zehn Euro. Dann musste sie eben etwas länger für die Klassenfahrt arbeiten und Joswig würde das Geld vielleicht auch etwas später noch akzeptieren. Schließlich fuhren sie erst im Februar. Joswig. Er war echt nett. Gar nicht so, wie Lehrer sonst waren, so von oben herab und immer alles besser wissend. Das Gespräch gestern mit ihm… irgendwie hatte es ihr gutgetan.
Sabine Ihrig zeigte Sandra das Haus und erklärte, was sie erwartete. Im Wohnzimmer saß ein Mädchen in Vanessas Alter vor dem Fernseher und sah einen Zeichentrickfilm an. Es blickte nicht auf, als seine Mutter und Sandra eintraten.
Nach zehn Minuten war die Führung beendet. Küche, Bad, Gäste-WC, zwei Kinderzimmer, Schlafzimmer, Wohnzimmer und Flur waren zu putzen. »Schaffst du das in drei Stunden?«
Puh, dachte Sandra. Das wird sportlich. »Ja, klar«, erwiderte sie zuversichtlich und machte sich ans Werk.
Kurz vor halb sieben war sie fertig. Ihre Klamotten waren verschwitzt, der Rücken tat weh, die Schultern waren verspannt und die Haut an den Händen war trotz der Gummihandschuhe aufgequollen.
Mit einem kurzen Rundgang vergewisserte sich ihre Arbeitgeberin, dass alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt war. »Ganz ehrlich: Ich hätte nicht gedacht, dass du das so gut kannst.« Sie lächelte Sandra an. »Dann sehen wir uns in einer Woche wieder. Um dieselbe Zeit?«
»Ja. Prima. Das passt.«
Sabine Ihrig holte ihren Geldbeutel aus der Küche. Sie schüttelte den Kopf, als sie hineinsah. »Zu dumm. Ich habe ganz vergessen, zum Geldautomaten zu gehen. Tut mir leid. Aber mein Mann ist noch nicht daheim. Er hat das Auto. Und bei diesem Wetter noch mal rauszugehen…« Entschuldigend zog sie die Schultern hoch. »Ist es ein Problem, wenn ich dir das Geld nächste Woche gebe? Ich meine, du sparst es doch ohnehin für den Führerschein.«
Sandra versicherte, dass das in Ordnung sei, obwohl sie sich irgendwie überrumpelt fühlte. Aber eigentlich war es vielleicht sogar besser so. Das Geld wollte sie ja sparen und so geriet sie nicht in Versuchung, es vielleicht doch für Lebens- oder Putzmittel auszugeben. Fürs Haushaltsgeld war Laura zuständig. Hoffentlich ließ sie sich bald blicken.
Um Viertel nach sieben sperrte Sandra die Wohnungstür auf. Nach der Putzarie stachen ihr Schmutz und Unordnung daheim noch mehr ins Auge. Das reinste Kontrastprogramm. Doch selbst wenn plötzlich Geld für Putzzeug da gewesen wäre, Sandra war so fertig, dass sie heute garantiert nicht noch einmal die Miss Proper geben würde.
Vanessa war daheim. Sie spielte in ihrem Zimmer und hatte bei Ayshe bereits zu Abend gegessen. Sandra machte sich ein Butterbrot und einen Becher Tee. Während Vanessa einen Film im Fernsehen gucken durfte, musste sie nun endlich Mathe lernen. Die Arbeit war wichtig. Sie hatte sich vorgenommen, eine Zwei zu schaffen. Doch gerade als sie das Mathebuch aufschlagen wollte, entdeckte sie eine SMS, die Alina ihr schon am Nachmittag geschickt hatte. Ruf mich an, bevor du Facebook startest.
Wieso das denn? Auf Facebook hatte sie schon ewig nichts mehr geschrieben. Was sollte sie schon berichten? Die Dinge, die sie wirklich beschäftigten, konnte sie nicht posten, ebenso wenig wie Einladungen annehmen oder Verabredungen treffen – alles Dinge, die mit Geldausgeben verbunden waren. Ihren letzten Eintrag hatte sie eingestellt, nachdem Vanessa für Stunden verschwunden war und sie schon drauf und dran gewesen war, zur Polizei zu gehen. Das war schon Wochen her.
Irgendwie beunruhigt wählte Sandra Alinas Nummer. Besetzt. Sie legte auf, ging in Lauras Zimmer, fuhr den PC hoch und loggte sich bei Facebook ein. Das Erste, was sie sah, als ihr Account sich öffnete, war ein Foto, das jemand gepostet hatte. Es zeigte eine Frau in Hockstellung, die mit heruntergelassenem Slip auf den Boden pinkelte. Eine Pfütze breitete sich zwischen ihren Beinen aus. Wer machte denn so was? Und wer fotografierte das auch noch und stellte es ins Netz? Das war ja echt widerlich.
Das Zweite, was Sandra wahrnahm, war ihr Name. Sandra Plank, die Sau!
Was!
Was sollte das?
Die Härchen an ihren Armen richteten sich auf, eine unsichtbare Faust schlug ihr in den Magen. Ein Stahlband zurrte sich um ihren Brustkorb. Keuchend stieß sie den Atem aus.
Das ist nicht wahr.
Das konnte nicht wahr sein.
Wer hatte das getan?
Sie versuchte, sich zu beruhigen, und starrte auf den Monitor.
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