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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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musste nur Staub gewischt und gesaugt werden. Es war schon kurz nach sechs, als sie damit begann. Mit Möbelpolitur und Staubtuch machte sie sich ans Werk und räumte im Regal alle Fachböden frei, auch einen, auf dem etliche Vasen aus dickem Glas standen. Als aller Staub beseitigt war, sortierte sie die Vasen wieder ein. Grellbunte Scheußlichkeiten. Die letzte, eine giftgrüne, witschte ihr zwischen den Fingern durch und schlug auf dem Metallfuß der Stehlampe auf. Ein dumpfes Plong erklang. Das Gefäß zerbrach in mehrere Teile. »Mist!«, rief Sandra in die Stille des Zimmers und starrte auf die Scherben. Sollte sie die schnell in eine Plastiktüte packen und draußen in die Mülltonne werfen? Bis Frau Ihrig bemerkte… Nein. Das konnte sie nicht machen. Es war ein Versehen gewesen. So etwas geschah. Sie musste da durch. Hoffentlich hatte Frau Ihrig dafür Verständnis.
    Doch genau das hatte sie nicht. Als sie kurz nach halb sieben kam und Sandra das Malheur beichtete, rastete Frau Ihrig aus. »Welche Vase? Doch nicht eine der Muranovasen? Sag nicht, dass du eine meiner Muranovasen zerdeppert hast!« Ihre Stimme war schrill. Fassungslos blickte sie auf die Scherben, die Sandra auf den Küchentisch gelegt hatte. »Weißt du, was du da angerichtet hast?«
    Sandra hatte keine Ahnung, aber ihr schwante nichts Gutes. Sabine Ihrig führte sich auf, als habe Sandra das Familienhaustier umgebracht. »Die Vase lässt sich doch sicher ersetzen. Oder?«
    »Das ist ein Einzelstück. Das kann man nicht ersetzen.« Ein kalter Blick traf Sandra. »Mach, das du rauskommst, und lass dich nie wieder hier blicken!«
    Was? Fassungslos starrte Sandra ihr Gegenüber an. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! So ein Theater wegen einer Vase. Aber sie spürte, dass jeder Einwand zwecklos war. Gut, dann musste sie sich eben eine andere Putzstelle suchen. Es gab ja genug davon. »Ja… Also, wenn Sie das wirklich wollen«, stammelte sie.
    »Hast du Bohnen in den Ohren? Verschwinde.« Mit ihrem Geschrei verschreckte Frau Ihrig sogar ihre Kinder. Beide verschwanden eilig aus der Küche.
    Sandra nahm all ihren Mut zusammen. »Ich bekomme noch siebzig Euro.«
    »Was bekommst du?« Drohend ging die Frau auf sie zu. »Du richtest einen Schaden von mehreren Hundert Euro an und willst noch Geld von mir?« Schritt für Schritt kam sie näher. »Sei froh, wenn ich von dir keinen Schadensersatz verlange. Und jetzt raus!« Das klang gefährlich leise.
    Sandras Puls raste. Die Frau war drauf und dran, handgreiflich zu werden. Rückwärts gehend verließ sie die Küche, riss die Jacke vom Haken, schlüpfte durch die Haustür und knallte sie zu.
    Sie kochte vor Wut. Zweimal umsonst geputzt. Siebzig Euro! Adieu Berlin! Sie musste Nils um einen Aufschub bitten. Bei dem Gedanken an ihn verflogen Wut und Ärger und eine wohlige Ruhe breitete sich in ihr aus. Sie griff nach dem Rad und wollte aufsteigen, als sie sah, dass der Vorderreifen platt war. Heute war ja wohl echt ihr Glückstag. Wenigstens steckte die Luftpumpe in der Halterung. Doch auch dem Hinterreifen fehlte die Luft und nicht nur das. Die Felge war völlig verbogen. War das Rad umgefallen und ein Auto drübergefahren? Doch es hatte weit abseits an der Hauswand gelehnt. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit. Jemand hatte seine Wut daran ausgelassen und die Felge zu einem Achter getreten.
    Wer?
    Jemand aus ihrer Klasse? Hier draußen?
    Eine böse Ahnung beschlich sie, wurde zur Gewissheit, je länger sie darüber nachdachte. Jemand verfolgte sie. Die Fotos beim Supermarkt. Wer auch immer sie gemacht hatte, war nicht zufällig genau in der Minute dort vorbeigekommen, als sie Lebensmittel aus dem Container gefischt hatte. Jemand beobachtete sie, schlich ihr nach, machte Fotos. Der Schreck über diese Erkenntnis legte sich eiskalt in Sandras Magen. Hatte derjenige… Quatsch, derjenige. Maja und Pat. Wer sonst. Hatten die beiden sich auch gestern an ihre Fersen geheftet, waren ihr nachgegangen… ihr und Nils? Bitte nicht! Bitte, bitte nicht! Ziemlich sicher nicht, beruhigte sie sich. Denn dann hätten die beiden Tussen die Fotos längst publik gemacht. Dieses Fest würden sie keine Sekunde später feiern als nötig.
    Sandra sah sich um. Da war niemand. Kein Schatten, keine Bewegung, kein leises Kichern. Die Straße lag ruhig und verlassen vor ihr. Sie nahm sich vor, in Zukunft besser aufzupassen. Notfalls würde sie ihre Verfolgerinnen eben abschütteln müssen.
    Ratlos starrte sie auf das Rad und

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