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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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der vorbeifahrenden Autos nach. Langsam drang eine neue Erkenntnis in ihr Bewusstsein. Alles hatte zwei Seiten. Auch das, was sie gerade gesehen hatte: Nils war bereit, diese Grenzen zu überschreiten. Er war bereit, etwas mit einer Schülerin anzufangen. Das war die gute Nachricht. Die schlechte war, dass diese Bitch ihn blind dafür machte, wer seine einzige und wahre Liebe war. Das Problem war Sandra, nicht Nils.
    Sie fing wieder zu träumen an. Wie er sie immer ansah… wie er in das Mon Cherie gebissen hatte… Er war so süß, so hot. Er liebte nur sie. Musik setzte sich in ihren Kopf und vertrieb für einige Momente Hass und Wut. Feel my love coming from the heavens above, when my eyes meet your eyes, you know it’s true. Und neulich, als er sich im Gedränge auf dem Flur kurz an sie gedrückt hatte… Ihr war ganz schwindelig geworden… Er roch so… geil! Let’s both get on that rocket to the stars. Ja, genau! Let’s both get on that rocket to the stars.
    Leise singend ging sie weiter. Sandra war das Problem. Wenn diese Schlampe nicht bereit war, ihrem beschissenen Leben ein Ende zu setzen, dann musste das eben anders gehen. »Baby come dance with me«, sang sie lauthals. Tanzend und singend ging sie nach Hause. »Baby komm, das muss anders gehen.« Und sie wusste auch schon, wie.

27
    Irgendwann gestern Abend hatten sie sich voneinander gelöst und sich angesehen. Strahlend, zärtlich, glücklich. Arm in Arm hatten sie sich auf den Heimweg gemacht. Alle Probleme waren Sandra plötzlich unwichtig und klein erschienen und vor allem zu bewältigen. Sie fühlte sich so leicht, als ob ein Windhauch sie davonschweben lassen könnte. Gut, dass Joswig… dass Nils sie hielt.
    Als sie den Park hinter sich ließen und sich den Häusern näherten, löste Nils die Umarmung. Klar. Lehrer und Schülerin, das ging nicht. Aber in diesem Moment war das gleichgültig. Sie war so glücklich wie schon ewig nicht mehr. Eigentlich wie noch nie. Selbst Tom, mit dem sie in der neunten Klasse gegangen war, hatte keine derartigen Gefühle in ihr geweckt wie Nils.
    Sie schob die Hände in die Jeansjacke. Schweigend gingen sie nebeneinanderher, bis Nils fragte, was sie gegen das Mobbing unternehmen sollten. Sandra wollte nicht, dass er es vor der Klasse ansprach. »Dann stehe ich wie eine Petze da. Dann wird das nur noch schlimmer. Am besten, ich versuche, es weiter zu ignorieren.« Sie wusste selbst, dass sie sich etwas vormachte… heute Nachmittag… wenn Nils nicht gekommen wäre, wäre sie jetzt vielleicht tot.
    »Ignorieren ist keine Lösung. Das packst du nicht. Niemand packt das. Außerdem kann man das nicht dulden.«
    »Ich hab schon überlegt, ob ich mich in eine andere Klasse versetzen lasse.«
    Nachdenklich schwieg er eine Weile. »Das wäre eine Möglichkeit und würde auch ein anderes Problem lösen.« Er blieb vor ihr stehen und sah sie an. So zärtlich, dass es Sandra durch und durch ging. »Eigentlich dürfen wir das nicht. Ich bin dein Lehrer, das ist strafbar. Wenn du in die 10 A wechselst, dann wärst du nicht mehr meine Schülerin.«
    »Was dürfen wir nicht?«, fragte sie keck und lächelte ihn an.
    »Na das«, sagte er augenzwinkernd und wurde plötzlich ganz ernst. »Ich hab mich in dich verliebt, Sandra. Schon am ersten Tag, als du da in deiner Bank gesessen bist, auf den ersten Blick irgendwie unscheinbar und doch… etwas leuchtete an dir, machte dich so strahlend und einzigartig und dann ist dir das Leuchten abhandengekommen. Jeden Tag ein wenig mehr. Das hat mir so unendlich wehgetan.«
    Seine Worte trieben ihr die Tränen in die Augen. Wieder wischte er sie weg und gab ihr einen raschen Kuss. »Aber heute Abend habe ich es gesehen. Dieses Leuchten. Verlier es nicht wieder.«
    Nein, das würde sie nicht. Dieses neue, ungewohnte Gefühl, geliebt zu werden und selbst verliebt zu sein, umgab sie wie ein schützendes Gewebe. Eine Tarnkappe, ein magisches Vlies, das sie unverwundbar machte.
    »Trotzdem kann ich Mobbing an unserer Schule nicht dulden. Ich werde mir etwas einfallen lassen, wie ich dich nicht bloßstelle. Und wegen des Klassenwechsels rede ich mit der Schulleitung.«
    Er hatte sie nach Hause begleitet und im Schutz der Dunkelheit hatten sie sich noch einmal geküsst.
    Als Sandra am nächsten Tag das Klassenzimmer betrat, fühlte sie sich unverwundbar. Auf ihrem Tisch lag ein Beutel voller Müll. Jemand hatte einen Zettel darangeklebt. Guten Appetit. Sie brachte ihn zum Papierkorb und

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