Scherbenparadies
fuhr, die Lichter verlöschten und Nils ausstieg. Wie gut er aussah! Doch er war nicht allein!
Sandra!
Diese Bitch!
Er hielt ihr die Tür auf, die beiden gingen ins Haus. Tränen brannten in ihren Augen, während gleichzeitig eine Welle von Hass sie vom Boden spülen wollte. Was jetzt passieren würde, war ja wohl klar. Das wollte sie sich nicht ausmalen. Wirklich nicht! Doch die Bilder entstanden ganz ohne ihr Zutun. Jedes befeuerte ihre Wut, ihren ohnmächtigen Hass, ihren Zorn. Bitch! Bitch! Bitch! Das wirst du büßen!
Bis kurz nach Mitternacht stand sie vor dem Haus. Irgendwann gingen die Lichter in seiner Wohnung aus. Er kam nicht heraus. Sandra auch nicht.
Sie schlief bei ihm!
Eine dünne Frostschicht begann, die Scheiben seines Minis zu bedecken. Irgendwo bellte ein Hund. Aus einer Erdgeschosswohnung dröhnte der Fernseher. Ein Polizeiwagen fuhr mit rotierendem Blaulicht vorbei. Ihr Atem ging stoßweise, kondensierte in der Kälte zu weißen Fahnen.
Ihr Körper war ein einziger Eisklumpen. Ihr Herz jedoch glühte vor Hass. Sandra! Bitch! Fotze! Nutte! Warum bist du nicht vom Hochhaus gesprungen? Ich wette, du warst so kurz davor! So kurz! Du Stück Scheiße! Und jetzt wirst du es nicht mehr tun, hast Nils ins Bett gezerrt, du elende Schlampe! Du denkst wahrscheinlich, er liebt dich. Doch er lässt sich von dir nur ficken. Mehr nicht.
Es tat so weh!
Okay! Das mit dem Selbstmord konnte sie endgültig vergessen.
Sie brauchte einen neuen Plan, einen besseren. Doch wie sollte sie dieses Miststück von Sandra dazu bringen, ihre dreckigen Pfoten von Nils zu lassen?
Aus der Jackentasche holte sie die Zigaretten, zündete sich mit vor Wut zitternden Fingern eine an, inhalierte tief und machte sich auf den Weg nach Hause. Ein Typ kam von der U-Bahn hoch und quatschte sie blöd an. Sie beachtete ihn nicht. Er rief ihr Schlampe hinterher.
Langsam formte sich eine Idee. Ja. So konnte das klappen. Wenn der direkte Weg nicht funktionierte, dann musste man eben Umwege gehen. Man musste nur wissen, wo man den Hebel ansetzte. Und ziemlich sicher hatte sie diesen Punkt gerade gefunden.
Zufrieden nahm sie einen letzten Zug, warf die Kippe auf den Boden und starrte auf den glimmenden Stummel. Okay. Das konnte klappen, vorausgesetzt, dass diese Bitch mitmachen würde, dass sie parieren würde. Doch was sollte sie tun, wenn auch das nicht funktionierte?
In diesem Fall musste Plan B greifen.
Nicht einfach. Und nicht allein zu schaffen. Es war sicher nicht verkehrt, schon jetzt Vorbereitungen dafür zu treffen. Denn Plan B benötigte Vorlauf.
Wer konnte ihr helfen? Wem konnte sie blind vertrauen?
Und plötzlich war alles klar.
Ja! Alles passte, wie lose Steinchen, die sich zu einem Mosaik fügten.
Auch wenn sie dafür ein Opfer bringen musste.
Ein echtes Opfer.
Sie zog das Handy aus der Tasche und schickte Sven eine SMS. Ich brauche dich! Garantiert verstand er das falsch und das war gut so.
Prompt rief er an.
Zehn Minuten später hörte sie seine Ducati durch die Nacht röhren und trat aus dem Hauseingang, in dem sie auf ihn gewartet hatte, auf den Gehweg. Er trug eine schwarze Lederkombi mit Helm, den er jetzt abnahm. Auch für sie hatte er einen mitgebracht. Wie immer.
»Was ist, Sternchen?« Er fragte so zögernd und hoffnungsvoll zugleich, dass sie wütend wurde.
Sternchen! Sie hasste das! Es klang so schrecklich niedlich. Er fand das toll.
Okay. Durchatmen. Jetzt war Drama angesagt.
Schluchzend warf sie sich in seine Arme. »Es tut mir so leid. Ich hätte nicht mit dir Schluss machen dürfen, Sven. Das habe ich heute Nacht kapiert. Ich liebe dich doch so.«
Die Erleichterung war ihm anzusehen. Seine Schultern sanken herab, seine Arme klammerten sich um sie. »Ich dich doch auch. Ich dich doch auch!«
Sie ließ sich von ihm küssen und das kostete Überwindung. Erst als sie sich vorstellte, es wäre Nils, konnte sie seinen Kuss erwidern. So leidenschaftlich, dass Sven sie noch enger an sich zog und seine Hände nicht mehr unter Kontrolle hatte. Sie schob ihn weg und zwang sich, nicht mit dem Handrücken über ihre Lippen zu wischen. »Hey! Doch nicht hier. Lass uns zu dir fahren.«
Er strahlte sie an und sah dabei so dämlich glücklich aus, dass sie den Blick senken musste. Er hätte sie verraten.
Sein Vater war unter der Woche auf Montage und seine Mutter arbeitete Schicht. Niemand war bei ihm zu Hause, auf den sie Rücksicht nehmen mussten. Er bot ihr ein Bier an, sie fragte, ob sie nicht einen
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