Schicksal des Blutes
schwirrten ihr im Kopf herum. Womit sollte sie anfangen? Sie hatte nur noch zweieinhalb Stunden, bis Nyl …
Amy klappte den Laptop zu. Sie sah sich um und hielt sich im selben Atemzug für bekloppt. Andererseits … Sie stand auf und legte sich auf die weiche Seidenbettwäsche, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. Augenblicklich überschwemmte eine erdrückende Schwere ihre Glieder, als hätte sie drei Schlaftabletten genommen, doch im nächsten Moment richtete sie sich abrupt auf. Ihr schwindelte und sie fühlte sich wie betäubt. Sie strich sich über den Nacken. Er kribbelte. Nicht wirklich, aber exakter konnte sie das Gefühl nicht definieren. Nicht nur Ny’lane befand sich in der Nähe, sondern auch ein anderer Vampir. Oder ein anderes Wesen.
Was hatte sie vorhin auf dem Weg zum Haus überlegt? Gedachte Nyl, sie tatsächlich loszuwerden? Amy stutzte; in der Sekunde fiel der Groschen. Es schepperte laut in ihrem Gehirn, als wäre er aus großer Höhe gefallen, weil sie so begriffsstutzig war. Amy stöhnte auf. Die Diamantenmine gehörte seiner Mom! Oder ihnen beiden. Deshalb hatte sich General Zahnlücke am Flughafen gewundert. Es hieß Mrs. und nicht Mr. Bavarro!
Es machte zwar überhaupt keinen Unterschied, ob die illegalen Geschäfte vom Familienunternehmen Bavarro durchgeführt wurden oder nur von Ny’lane, aber irgendwie änderte sich gefühlsmäßig trotzdem etwas. Jedoch nicht zugunsten dieses snobistischen, neunmalklugen Ich-habe-alles-und-jeden-unter-Kontrolle Tyrannen. Er verarschte jeden. Sogar seine Freunde. Niemand wusste, wer er war. Doch nicht mit ihr! Er konnte sie entführen, schockieren, vernachlässigen, verführen, versuchen, sie herumzukommandieren und von der Bettkante stoßen, aber er würde sie niemals daran hindern, sich an seine Fersen zu heften und so lange sein Leben auf den Kopf zu stellen, bis sie herausgefunden hatte, wie er sein Vermögen scheffelte, ob Sadomasochismus ihn aufgeilte und er Lacktangas trug, an den Fingernägeln kaute, sein Kuscheltier misshandelte oder ob seine Eier sich zusammenzogen, wenn sie ihm zwischen die Beine trat. Und nur weil Mrs. Bavarro heute angeblich ihren Ehrentag hatte, hieß das nicht, dass sie nicht gleichzeitig Afrika ausbeutete, Drogengeld anhäufte, mit Blutdiamanten handelte, Jugendliche süchtig ins Verderben schickte und mit ihrem Sohn über die Geschäfte sprach.
Amy tappte barfuß zur Tür, drehte den Knauf – abgeschlossen. Nicht unerwartet. Anstatt wütend zu werden, breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus.
Na warte, zischte sie in Gedanken und lief leise zu der doppelflügligen Glasschiebetür, die einen herrlichen Blick über die Terrasse auf den Garten bot, die aber selbstverständlich ebenso verriegelt war. Es lag auf der Hand. Ny’lane traf sich just mit seiner Mom und sie sollte auf keinen Fall dabei sein. Vor den arroganten Proleten setzte sie noch ein hinterhältig und einige weitere schöne Adjektive, während sie das Zimmer nach einem brauchbaren Gegenstand absuchte, um die Schiebetür aufzuhebeln. Der Mistkerl hatte wohl gedacht, sie würde sich hinlegen und einpennen. Weit gefehlt, Vampir!
Leider fand sie nur einen Kugelschreiber, natürlich keinen Schraubendreher oder ähnlich stabiles Werkzeug. Der Schreiber würde brechen und eine Scheibe wollte sie nicht einschlagen. Sie würde sowieso nur wenige Augenblicke haben, bis sie sie beim Lauschen bemerkten.
Sie durchsuchte die Rattanschränke im Badezimmer, in denen sie auch die Einwegzahnbürsten gefunden hatte. Mit einem fetten Grinsen ging sie zum Kühlschrank und entnahm die große Wasserflasche. Sie trank einige Schlucke und entleerte sie. Mühsam zerschnitt sie das Hartplastik mit der Nagelschere, bis sie ein scheckkartengroßes Stück in den Fingern hielt. Dieses schob sie in den vertikalen Schlitz zwischen Tür zum Haus und den Rahmen. Neben dem Türknauf neigte sie die Karte, drückte zu und lehnte sich gleichzeitig mit dosierter Kraft gegen das Holz. Das Schloss schnappte zurück. Amy unterdrückte den Freudenjuchzer und sah schnell zu beiden Seiten den Flur hinunter. Sie schlich durch die gefliesten Korridore, an geschlossenen Türen vorbei, holte flach Atem hinter Marmorstatuen und ausladenden Farnen und huschte geduckt durch eine offene, lichtdurchflutete Küche im Landhausstil. Sie folgte ihrem Gefühl und fand die Bestätigung, als sie durch die Glasfenster hinaus über eine Holzterrasse in ein weiteres Zimmer
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