Schicksalsmord (German Edition)
zweifelsfrei überführt. Der Busfahrer hatte sich geirrt, der Mann war am Tage vor der Tat auf seiner Strecke mitgefahren. „Diese Variante ist in meinem Fall eher unwahrscheinlich,“, räumte ich ein, „zwar war ich am Tag vor Dietrichs Tod letztmalig in der Kanzlei, aber das war vormittags, das wird sie wohl kaum verwechselt haben.“
„Konnte sie auch nicht, weil sie zu dem Zeitpunkt in der Schule war.“, bestätigte Dr. Hoffmann.
„Aber die Frau kannte mich offensichtlich, ich bin ihr schon früher aufgefallen, obwohl ich sie nicht kenne.“
„Vielleicht haben sie sie gelegentlich gesehen, eine mittelgroße, blonde Frau mit einem großen, schwarzen Hund. Sie war auch an dem fraglichen Abend mit ihm unterwegs, ein wunderschöner Hovawart übrigens.“ Karsten Hoffmann sah mich fragend an.
„Ein Hova-was?“, fragte ich irritiert zurück. Ich kann einen Dackel von einem Schäferhund unterscheiden, das reicht mir. Für Hunde habe ich nichts übrig, für Katzen übrigens ebensowenig. Und die Frau war mir nie aufgefallen.
„Sie sagten, sie seien zu anderen Schlussfolgerungen gelangt,“ griff Dr. Hoffmann den unterbrochenen Gesprächsfaden wieder auf.
„Ja“, sagte ich, „und diese Schlussfolgerungen besagen messerscharf, dass die Frau bewusst lügt.“ Ich lehnte mich zurück.
Dr. Hoffmann schaute skeptisch. „Frau Tanner, bei den meisten Verbrechen tauchen angebliche Zeugen auf, die sich nur wichtig machen wollen. Geltungssucht, Einsamkeit, man kennt die Gründe. Aber das trifft hier nicht zu. Die Zeugin ist sich der Tragweite ihrer Aussage bewusst und sie wird vereidigt werden. Eine Falschaussage unter Eid ist kein Kavaliersdelikt, das tut kein halbwegs intelligenter Mensch ohne Not. Und die Frau ist intelligent.“
Ich ließ mich nicht beirren. „Sie tut es aber doch“, sagte ich, „also muss sie ein starkes Motiv haben.“
„Und welches?“, wollte mein Verteidiger, nun wieder ganz Ohr, wissen.
„Rache“, sagte ich schlicht. „Sehen Sie, anfangs dachte ich, sie handelt selbständig und aus einem primitiven Impuls heraus. Sie wusste wer ich war, und es ist kein Wunder, dass ich ihr aufgefallen bin. Meine Position, mein Wagen, meine Garderobe, das stach hervor und so etwas weckt bei Frauen heftige Neidgefühle. Es war sicher nicht unbekannt, dass Dietrich sich für mich scheiden ließ, da kocht bei der braven Haus- und Ehefrau die Entrüstung hoch. Warum also die Chance, mir eins auszuwischen, ungenutzt verstreichen lassen? Aber nein, warten Sie, ich kenne ihren Einwand. So ein Impuls ist irgendwann verpufft, bis zur Falschaussage reicht die Kraft da sicher nicht aus. Daher glaube ich, ihre Motive waren tiefgründiger. Sie muss im Auftrag von jemandem gehandelt haben. Von jemandem, der mich so hasst, dass er vor nichts zurückschreckt. Vielleicht ist sie demjenigen gefühlsmäßig verbunden oder verpflichtet, vielleicht ist auch Geld im Spiel.“ Ich machte eine effektvolle Pause.
„Und wer soll derjenige sein?“
„Carola Tanner, die Tochter meines verstorbenen Mannes.“
Es folgte ein längeres Schweigen. Zumindest erwog er ernsthaft, was ich gesagt hatte. Anlässlich der Auswertung des Ergebnisses der Gegenüberstellung hatte es zwischen Karsten Hoffmann und mir eine heftige Auseinandersetzung gegeben, weil er mir indirekt ein Geständnis nahe gelegt hatte. Daraufhin hatte ich geschrien, auf einen Anwalt, der mir nicht traue, verzichten zu können. Wir hatten uns jedoch einander schnell wieder angenähert, denn ich wollte nicht wirklich auf ihn verzichten. Meine langjährigen Erfahrungen mit Anwälten reichten aus, seine Qualitäten richtig einzuschätzen. Dr. Hoffmann hatte Ehrgeiz und Biss, er war jung und unverbraucht und wollte sich profilieren. Das sind gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches Mandat. Außerdem hatte er keinerlei Verbindung zu meinem Mann gehabt, was auf die meisten anderen für meine Verteidigung in Frage kommenden Anwälte leider zutraf. Schließlich war Dietrich für längere Zeit Präsident der Anwaltskammer gewesen.
Unter Tränen hatte ich Dr. Hoffmann beim Leben meiner Mutter und meiner Schwester geschworen, ihn niemals anzulügen. Seitdem lief es wieder bestens zwischen uns.
„Sie vermuten also eine Verbindung zwischen Carola Tanner und der Zeugin Frau Schmidtbauer. Dabei muss bedacht werden, dass sich Carola Tanner zum Zeitpunkt der Ermordung ihres Vaters bereits seit vier Tagen in stationärer Behandlung befand. Mit Rücksicht auf ihren
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