Schicksalsmord (German Edition)
für einen Moment mit der Vergangenheit verbunden hatte. Beim Verlassen des Geschäfts beschlich mich das bedrückende Gefühl, etwas ungeheuer Wichtiges knapp verpasst zu haben.
Lydia:
Dass die Gegenüberstellungen mit der Belastungszeugin nicht dazu beigetragen hatten, meine Unschuld zu beweisen, war ein schwerer Schlag für mich, doch er warf mich nicht zu Boden. Ganz im Gegenteil erwachte jetzt erst mein Kampfgeist. Bisher hatte ich mich treiben lassen, war von der baldigen Aufklärung ohne mein Zutun überzeugt gewesen. Nun nahm ich die Dinge selbst in die Hand. Auf den nächsten Besuch meines Verteidigers Dr. Hoffmann war ich auf das Gründlichste vorbereitet, ich hatte mir sogar Notizen gemacht, um nichts zu vergessen.
Er schien erfreut über meine Initiative und ging in unserem folgenden Gespräch geduldig auf alles ein, erläuterte selbst jene Punkte noch einmal ausführlich, in denen es seiner Ansicht nach keine offenen Fragen mehr gab.
Der Tathergang ließ eindeutig auf ein Fremdverschulden schließen. Dietrich war vor seinem Schreibtisch liegend gefunden worden. Er war unter Krämpfen gestorben, die ihn von seinem Stuhl geworfen hatten, auf dem er vermutlich gesessen hatte, als er den verhängnisvollenen Cocktail in Form eines starken türkischen Kaffees, vermischt mit gut einem Gramm Zyankali - dem Sechsfachen der tödlichen Dosis – zu sich genommen hatte.
Könnte er sich diesen letzten Trank nicht selbst zubereitet haben, hatte ich mich und Dr. Hoffmann immer wieder gefragt, doch der hatte abgewinkt.
Das Fehlen eines Abschiedsbriefes habe nichts zu bedeuten, viele Selbstmörder würden ohne letzte Erklärung aus dem Leben gehen und die Hinterbliebenen mit quälenden Fragen zurücklassen. Ausschlaggebend war vielmehr, dass das starke Gift unmittelbar zu einer Atemlähmung geführt und innerhalb von Sekunden den Tod herbeigeführt haben musste. Dietrich hätte nicht mehr die Zeit und die Kraft gehabt, sich durch Vorzimmer und Flur hindurch zur Küche zu begeben, die Tasse abzuspülen, abzutrocknen und wegzuräumen und den Kaffeesatz ebenso im Mülleimer zu entsorgen wie das sorgfältig abgespülte Tablettenröhrchen, in dem sich das Gift befunden hatte. Genau das war aber geschehen und demnach hatte jemand die Hand im Spiel gehabt, der wohl die Absicht verfolgte, einen natürlichen Tod vorzutäuschen. Der Plan hätte durchaus gelingen können, wäre die Notärztin weniger umsichtig gewesen. Ein Mann von Anfang 60, beruflich stark beansprucht und von persönlichen Problemen gebeutelt – da denkt man doch sofort an einen Herztod, wenn der plötzlich leblos an seinem Arbeitsplatz gefunden wird. Und wenn der herbeigerufene Arzt dann noch übermüdet oder anderweitig nicht bei der Sache ist, wird der Schein schnell auf natürlichen Tod ausgestellt. „Würde auf jedem Grab eines unerkannten Mordopfers eine Kerze brennen, dann würden unsere Friedhöfe nachts leuchten wie Las Vegas“, zitierte Dr. Hoffmann einen Spruch, den ich schon des Öfteren gehört hatte. Ich ließ das jedoch nicht erkennen, gab mich überrascht und beeindruckt. Männer brauchen Bewunderung zur Pflege ihres Egos, und da ich Dr. Hoffmann brauchte, geizte ich nicht damit.
„Zum Glück war die diensthabende Ärztin gut ausgeschlafen und ausgebildet, und unter Schnupfen litt sie auch nicht, so dass sie sofort den für eine Zyanidvergiftung charakteristischen Bittermandelgeruch wahrnahm und die Polizei rief.“, fuhr Dr. Hoffmann fort.
„Wieso zum Glück?“, dachte ich empört, Pech war das für mich, mein lieber Karsten (in Gedanken nannte ich ihn längst beim Vornamen). „Du solltest mal ein bisschen mehr mit deiner Mandantin fühlen.“ Gleich darauf rief ich mich zur Ordnung, die Angelegenheit war leider zu ernst.
Dietrichs Tod war am Freitag, dem 13.2., zwischen 17 Uhr und 18:30 Uhr eingetreten, genau in der Zeit, für die mir ein Alibi fehlte. Frau Saalfelder hatte ihn am Samstagmorgen um 6 Uhr gefunden. Natürlich hatte sie auch dazu bereits ein ausführliches Zeitungsinterview gegeben.
Schon durch die konkreten Umstände wurde nach Meinung der Polizei der Kreis der Tatverdächtigen stark eingegrenzt. Zornige Mandanten kochen ihrem Anwalt nicht erst einen Kaffee, wenn sie ihn umbringen wollen. Da wäre die Schussvariante, die ja auch sofort als Gerücht die Runde gemacht hatte, wirklich plausibler gewesen.
Bei allen Personen, die Zugang zur Kanzlei hatten und mit Dietrich ebenso vertraut waren wie mit seinen
Weitere Kostenlose Bücher