Schicksalsmord (German Edition)
ich jedes Mal, wenn er aufbrechen wollte. Es war ein Spiel, in dem es um Macht ging. Je länger ich ihn festhalten konnte, um so näher wähnte ich mich meinem endgültigen Ziel.
Gegen vier Uhr morgens verließ mich Holger schließlich, und ich schlief zufrieden tief und traumlos ein. Benommen griff ich nach meinem Morgenmantel, als mich kurz nach 9 Uhr ein Klingeln an der Tür weckte. Ich glaubte, Holger sei zurückgekommen und öffnete mit einem strahlenden Lächeln. Draußen stand Ulla. Sie war blass wie ein Geist, und ihr Gesicht verzerrte sich bei meinem Anblick vor Wut. Blitzschnell und erstaunlich kräftig schlug sie mir links und rechts ins Gesicht. „Du Schlampe“, zischte sie mich an, drehte sich auf dem Absatz um und lief die Treppe hinunter, bevor ich richtig begriffen hatte, was da geschehen war.
Leider hatte unsere Flurnachbarin alles beobachtet und starrte mich fragend an. Augenblicklich gewann ich meine Haltung zurück. „Die Frau ist krank“, sagte ich in mitleidigem Ton. „Wahnideen. Es wäre sinnlos, sie zu verklagen.“
„Ja aber“, stammelte die Nachbarin „sie war doch öfter bei Ihnen zu Besuch.“
„Ja“, meinte ich schulterzuckend, „man will schließlich helfen, aber glauben Sie mir, es bringt nichts, sich mit solchen Menschen abzugeben.“ Dann schloss ich die Tür.
Erst Tage später habe ich erfahren, was in dieser Nacht geschehen war. Die kleine Emily war gegen Mitternacht wach geworden, hatte vergeblich nach dem Vater gerufen und schließlich versucht, zu ihrer älteren Schwester in das obere Doppelstockbett zu klettern. Dabei war sie abgerutscht, gestürzt und unglücklich mit dem Kopf auf eine Möbelkante geschlagen. Luisa wurde von dem Knall wach, und fand ihre Schwester bewusstlos und blutend auf dem Fußboden. Der Vater war nicht da, die Wohnungstür verschlossen, doch neben dem Telefon lag Ullas Handynummer. Nach Ullas Anweisungen fand Luisa den Ersatzschlüssel und klingelte die Nachbarn heraus, die umgehend den Notarzt riefen. Ulla setzte sich in ihr Auto und kam gegen drei Uhr bei ihrer Tochter in der Klinik an. Holger fand bei seiner Heimkehr nur einen Zettel an der Tür und eine äußerst pikierte Nachbarin vor, die ihm mitteilte, Luisa schlafe bei ihr in der Wohnung und er finde seine Frau und Emily im Krankenhaus. Statt erst einmal in Ruhe nachzudenken, begab er sich in völliger Panik dorthin und legte vor Ulla ein umfassendes Geständnis seiner und meiner Schuld ab. Für Ullas daraus resultierende Rachsucht reichten die Ohrfeigen noch nicht aus, sie rief umgehend Thomas an, der daraufhin seine Kur vorzeitig abbrach und am Nachmittag in unserer Wohnung auftauchte.
„Einer von uns beiden geht, du oder ich“, sagte er schon beim Hereinkommen. Er führte sich lächerlich auf, wie der betrogene Ehemann in einem Boulevardstück. Ohne jede Diskussion verließ er noch am Abend die Wohnung und reichte kurz darauf die Scheidung ein. Ich war zunächst sogar erleichtert darüber, denn noch hoffte ich auf Holger. Doch der war sogar zu feige zu einem persönlichen Gespräch, am Telefon faselte er so lange von einem großen Fehler, den wir beide gemacht hätten, bis ich auflegte. Ich sah ihn nie wieder.
Ob die Verletzung seiner Tochter wirklich so dramatisch war und ob tatsächlich, wie es anfänglich hieß, eine dauerhafte Behinderung zurückblieb, habe ich nie erfahren. Ich vermute, dass Ulla in ihrer hysterischen Art alles dramatisiert hat, um Holger kleinzukriegen. Und das ist ihr wirklich gelungen. Sie zog mit den Kindern nach Zöchlingen zu ihren Eltern und Holger gab seine Kanzlei auf und folgte ihr. Er arbeitet jetzt als Justiziar in einem völlig unbedeutenden Unternehmen.
Thomas ging ein Vierteljahr später planmäßig nach Bödersbach zurück und übernahm die Verwaltungsleitung der Kurklinik. Kurz darauf zog ich zu Dietrich. Ich hatte die Nase voll von schwachen Männern, und Dietrich erschien mir stark und durchsetzungsfähig. Dass ich ihn nicht liebte, verdrängte ich einfach. Das sollte ich bald bereuen.
Ulrike:
Vor unserem Haus stand ein riesiger Container. Ich war dabei, Keller und Dachboden besenrein zu beräumen. Es war eine schwere, schmutzige und aufreibende Arbeit, und ich war froh darüber, dass sie mich Tag für Tag nach meinem Dienst auf Trab hielt. Denn sie lenkte mich ab von meinen Gedanken an Lydia, von meiner Sorge um Mutter und von meinen eigenen diffusen Ängsten, die mir neuerdings den Schlaf raubten.
Martina schaute regelmäßig
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