Schicksalsmord (German Edition)
die eine Zeugin gegen mich beeinflusst hatte, das hielten sowohl Dr. Hoffmann als auch ich für ausgeschlossen. Seit einigen Tagen zermarterte ich mir den Kopf, wer sonst noch dafür in Frage käme. Immer wieder war Ullas Gesicht vor mir aufgetaucht, und immer wieder hatte ich den Gedanken beiseite geschoben. Sicher, kaum ein Mensch hatte mir so viel Hass entgegengeschleudert wie sie, doch sie war zu weit weg, um Einfluss auf das Geschehen in Gießen nehmen zu können.
Die Ereignisse, die mein Leben nachhaltig beeinflussen sollten, lagen jetzt sechs Jahre zurück. Damals glaubte ich mich in einer Sackgasse zu befinden. Mein unglückseliges Verhältnis mit dem Schöneheitschirurgen Friedhelm Schlüter lag fast ein halbes Jahr zurück, und ich hatte den Schock über das unerfreuliche Ende noch nicht verarbeitet. Noch nie hatte ein Mann mich mit solcher Verachtung behandelt. Diese Erfahrung hatte mich vorsichtig gemacht, längere Zeit ließ ich mich auf nichts Neues ein und schlug Einladungen interessierter Männer aus.
Thomas und ich lebten nach wie vor aneinander vorbei, ich traf mich gelegentlich mit Max und fühlte mich ansonsten leer und deprimiert. Hinzu kam, dass Thomas in dieser Zeit unsere Rückkehr nach Bödersbach zu planen begann. Er würde die Stelle des Verwaltungsleiters der Kurklinik annehmen. Ich solle dann beruflich erstmal kürzer treten, meinte er, insgeheim hoffte er jedoch, ich würde mich um eventuellen Nachwuchs kümmern. Mir war die Vorstellung einer Rückkehr nach Bödersbach, und noch dazu unter diesen Bedingungen, zutiefst zuwider. Alles in mir hoffte auf einen Ausweg.
Da trat an einem schönen Frühlingsmorgen Holger in die Kanzlei und in mein Leben. Vom ersten Moment an war ich total fasziniert von ihm. Er war groß und schlank, muskulös und durchtrainiert. Sein spärliches Haar hatte er abrasiert und die Glatze stand ihm zu seinem markanten Gesicht und dem kleinen Kinnbärtchen fantastisch. Er sah wie ein Schauspieler aus. Doch mehr noch als sein vorteilhaftes Äußeres bestach die Art und Weise seines Auftretens. Seine Energie und seine Fröhlichkeit rissen einfach jeden mit. Selbst der sonst eher steife Dr. Tanner war wie verwandelt, er umarmte Holger lachend und stellte ihn uns als seinen ehemals besten Referendar und nunmehr größten Konkurrenten vor. Holger Hagedorn werde nämlich demnächst seine erste eigene Kanzlei eröffnen. Holger bestätigte das glücksstrahlend und lud uns alle zur Eröffnungsfeier ein. „Ich habe riesige Räume gemietet, die müssen zur Einweihung voll werden“, verkündete er lachend. Mandanten habe er auch schon einige, doch leider seien die Kinder seiner beiden Renos wie abgesprochen gleichzeitig erkrankt, was ihm im Moment Probleme bereite.
Ich hatte das Angebot ausgesprochen, bevor ich richtig darüber nachgedacht hatte: Vielleicht könnte ich nach meiner Arbeit hier täglich ein paar Stunden aushelfen?
Holger Hagedorn zeigte sich sehr erfreut, und Dr. Tanner lobte meine Hilsbereitschaft. „Frau Gondschar ist eine ausgezeichnete Kraft“, sagte er. „Und weil auch ich meinem jungen Kollegen unter die Arme greifen will, stelle ich sie frei, solange bei dir Not am Mann ist.“
So kam es, dass ich für 14 Tage in der Kanzlei von Holger Hagedorn aushalf und dass wir uns in dieser Zeit schnell näher kamen. Allerdings in ganz anderer Weise, als ich es mir vorgestellt hatte. Holger war ein Kumpeltyp, er war lässig, unkompliziert und ein bisschen naiv. Meine erotischen Signale schien er überhaupt nicht zu empfangen. Zwar lud er mich zum Dank für meine Hilfe zum Abendessen ein, doch sein „bring bitte Deinen Mann mit, dann lernen sich die Ehepartner auch gleich kennen“, zerschlug meine Hoffnungen. Zu allem Überfluss fand das Abendessen bei ihm zu Hause statt und entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen. Hagedorns bewohnten eine schöne geräumige Altbauwohnung. Die Räume mit den Stuckdecken und Holzfußböden hätten mit entsprechender Ausstattung wundervoll aussehen können, doch mit dem bunt zusammengewürfelten Mobiliar und dem herumliegenden Kinderspielzeug wirkten sie einfach nur verkramt. Holgers Frau Ulla begrüßte uns in Jeans und labbrigem T-Shirt. Ich trug ein apfelgrünes Seidenkleid, das mir fantastisch stand, und musterte sie mitleidig. Offenbar hatte sie es auch nicht geschafft, ihr Haar zu waschen, sie trug es zu einem langen Zopf geflochten. Es schien ihr genauso wenig auszumachen wie die Unordnung in der Wohnung. Ulla war
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