Schicksalsmord (German Edition)
mir sofort unsympathisch. Sie redete viel und unbekümmert drauf los, sprach mit übertriebenem Stolz von ihren Kindern, zwei überdrehten Mädchen im Alter von vier beziehungsweise sechs Jahren, die uns im Laufe des Abends mehrfach störten, ohne dass die Eltern sie ernsthaft zurechtgewiesen hätten. Ich verspürte einmal mehr Erleichterung darüber, selbst keine Kinder zu haben. Ulla war eine gluckenhafte Mutter und eine offensichtlich überforderte Hausfrau. Ihren Beruf als Lehrerin übte sie zur Zeit nur vertretungsweise aus, ab und zu hatte sie auch Einsätze als Dolmetscherin für Französisch und Portugiesisch. Sie erzählte uns einiges darüber, doch ich hörte kaum zu, weil ich fand, dass sie fürchterlich angab. Zu meinem Erstaunen verstanden sich Thomas und Ulla bestens. Thomas, der sich am liebsten vor Einladungen drückte und auch diesmal nur widerwillig mitgekommen war, redete mit Ulla an diesem Abend mehr als mit mir innerhalb von 14 Tagen. Ihr Einvernehmen wurde im Laufe der Zeit so groß, dass mir ernsthaft der Gedanke an eine Verbindung zwischen den beiden kam, die meinen eigenen Hoffnungen auf Holger sehr förderlich gewesen wäre. Ulla war keine Frau für Holger, das war mir schnell klar. Sie zog ihn zu sich herab mit ihrer hausbackenen Art und ihrem Mutterkomplex, sie verstand sich nicht zu kleiden und kein Fest auszurichten, sie degradierte ihn zum Papi und Pantoffelhelden. An ihrer Haustür pappte ein unsägliches, selbstgebranntes Keramikschild mit Blümchen und der Aufschrift: „Hier leben Holger, Ulla, Luisa und Emily“ Ulla besaß sogar die Geschmacklosigkeit in Holgers Kanzlei Kinderzeichnungen an die Wände zu hängen.
Über ein halbes Jahr lang pflegten wir eine Freundschaft zu viert, die Thomas und Ulla sichtlich genossen, während ich Holger keinen Schritt näher kam. Es war ein Akt der Verzweiflung, der schließlich zum Erfolg führte. Thomas war übers Wochenende allein zu seinen Eltern gefahren, Ulla hatte einen Dolmetschereinsatz, und die Kinder waren bei den Großeltern untergebracht worden. Ich packte zwei Flaschen Rotwein ein und suchte Holger unter dem Vorwand auf, mich „mal richtig ausquatschen“ zu wollen. Er reagierte zunächst aufgeschlossen und interessiert, später betroffen und mitfühlend. Meinen Text hatte ich mir zuvor gut zurechtgelegt. Ich redete von Thomas' Krankheit, die ihn verändert und schwierig gemacht hätte, ich beschrieb seine Ängste vor körperlicher Belastung jeder Art, was leider Sex mit einschloss, ich beschrieb meine Einsamkeit, meine Frustration, meine unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte. Und ich schloss mit dem Geständnis, mich deshalb in ihn verliebt zu haben.
Holger machte es mir nicht leicht, stammelte etwas von wieder-zueinander-finden zwischen Thomas und mir, und dass er uns dabei helfen wolle. Mich betrunkener stellend als ich war, warf ich mich einfach schluchzend in seine Arme und riss den Widerstrebenden Schritt für Schritt mit mir fort. Um dem Geschehenen etwas mehr Verbindlichkeit zu verleihen, blieb ich über Nacht bei ihm, und er schickte mich natürlich nicht fort. Am nächsten Morgen war Holger voller Reue. Er bezichtigte sich, meine Situation ausgenutzt zu haben, und beschwor mich geradezu, das Geschehene müsse unter uns bleiben und dürfe sich nie wiederholen. Unter Tränen stimmte ich zu und betonte, niemandem Kummer bereiten zu wollen. Zugleich ließ ich jedoch durchblicken, diese Nacht sei mein schönstes Erlebnis seit Jahren gewesen, das ich nie vergessen werde. Daraufhin drückte er lange stumm meine Hand, ich bemerkte die Trauer in seinen Augen und wusste, dass er angebissen hatte.
Ich finde diesen dem Angelsport entlehnten Ausdruck übrigens recht treffend. Tatsächlich kann man Männer sehr gut mit Fischen vergleichen. Erfahrene Fremdgänger, wie zum Beispiel mein Vater, verhalten sich wie alte, gerissene Karpfen. Sie erkennen den Köder sofort und fressen ihn mit Geschick von der Angel, ohne sich am Haken zu verfangen. Sie genießen, doch sie lassen sich nicht an Land ziehen. Unerfahrene umschwimmen den Köder lange misstrauisch, bis ihre Gier über den Instinkt siegt. Doch dann hängen sie unwiderruflich fest, und ihr verzweifeltes Zappeln kann sie nicht mehr retten. Genau so erging es Holger. So heftig er auch beteuerte, Ulla und die Kinder nicht im Stich lassen zu wollen, so wenig konnte er sich meiner Anziehung entziehen. Ich beobachtete seine Zuckungen und Gewissensbisse mit kühlem Interesse, es war die
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