Schicksalsmord (German Edition)
verkehrt.
Als er mich verließ, hatte ich ein gutes Gefühl, weil er so offensichtlich mit Lydia abgeschlossen hatte.
Am nächsten Tag nahm ich einen Schal von der Hutablage in meiner Diele und dabei fiel mir ein an mich adressiertes Päckchen entgegen, das ich noch nie gesehen hatte. Es enthielt 10000 Euro in bar und die kurze Nachricht von Dietrich, ich solle mir etwas Schönes kaufen und ihn in guter Erinnerung behalten. Da begriff ich schlagartig, dass er nicht nur mit Lydia, sondern auch mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Ich habe mich sofort auf den Weg zu ihm gemacht.“
„Aber Sie sind zu spät gekommen“, sagte ich leise.
„Ja, ich bin zu spät gekommen. Tragischerweise vermutlich nur um eine halbe Stunde. Aber er war zweifelsfrei tot, kein noch so eilig herbeigerufener Arzt hätte ihm mehr helfen können. Dietrich war ein gründlicher Mensch, und auch den eigenen Tod hatte er gründlich vorbereitet. Auf dem Tisch lagen drei Briefe. Ich steckte sie ein, ohne richtig nachzudenken. Genauso automatisch wusch ich die Tasse ab. Warum ich das getan habe? Ich glaube, weil ich ihm seine Würde zurückgeben wollte. Der Gedanke, dass er sich wegen Lydia umgebracht haben könnte, war mir unerträglich. So würde vielleicht ein natürlicher Tod angenommen werden. Und ein bisschen wollte ich wohl auch mich selbst schützen. Irgendwo mussten diese verfluchten Fotos sein. Man würde sie finden, vielleicht ihre Spur zu mir verfolgen können. Dietrich hatte mir Geld gebracht, viel Geld. Sähe das nicht aus, als hätte ich ihn erpresst? Ich habe das in dem Moment nicht mit dieser Klarheit gedacht, aber irgendwo in meinem Unterbewusstsein rumorte es.“
„Aber die Fotos waren doch zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr dort. Soll Dietrich die nicht an Lydia geschickt haben?“, wandte ich ein.
„Ja, aber das konnte ich nicht wissen. Übrigens bezeichnend für Dietrich, dass er sie Lydia zukommen ließ. Jeder andere Mann hätte sie an ihren neuen Liebhaber, diesen Professor Rittweger, geschickt. Aber Dietrich blieb ein Gentleman bis über den Tod hinaus.
Naja, als ich mit meiner Spurenbeseitigung fertig war und die Kanzlei schon verlassen wollte, da sah ich durch die Glastür plötzlich eine Bewegung. Eine blaugekleidete Gestalt verließ die Kanzlei, mehr war nicht zu erkennen. Ich bin zum Fenster geschlichen und habe zum Ausgang gespäht. Und dann sah ich Lydia herauskommen. Das heißt, ich glaubte dass es Lydia war. In Wirklichkeit waren Sie es.“ Sie sah mich bedeutungsvoll an.
„Aber Lydia und mich kann man doch überhaupt nicht verwechseln“, entgegnete ich ungläubig. Mir wollte das nicht in den Kopf.
„Oh doch, man kann. Natürlich nicht, wenn Sie einem direkt gegenüberstehen. Ihr Haar und Ihre Augen sind heller als Lydias, ihre Züge sind feiner und Sie sind schlanker. Aber aus der Entfernung und bei diffuser Beleuchtung ist die Täuschung perfekt. Sie bewegen sich auf genau die gleiche Art und Weise wie ihre Schwester.“
Ich stutzte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte ich Lydia bewusst nachgeahmt. Ihre Gesten, ihr Lachen, ihre Art zu reden und zu gehen. Aber das war längst vorbei. Sollte es trotzdem immer noch Auswirkungen haben?
Ines Helmchen schien mir meine Zweifel anzusehen. „Sie können mir glauben“, sagte sie. „Selbst bemerkt man so etwas gar nicht, doch für Außenstehende ist es offensichtlich. An dem Abend trugen Sie das Haar hochgesteckt, genau wie Ihre Schwester. Und dann dieser Mantel, der den sie auch heute tragen. Auf dem Foto, das am übernächsten Tag in den Zeitungen erschien, hatte Lydia den auch an. Sie besitzt den gleichen, nicht wahr?“
„Nein, sie hatte meinen an“, erwiderte ich verdutzt.
„Sehen Sie, das hat die Illusion natürlich noch verstärkt. Die Zeugin, die Lydia gesehen haben will, hat sich keiner Falschaussage schuldig gemacht. Sie ist dem gleichen Irrtum erlegen, wie ich. Sie wusste ja nicht mal, dass Lydia eine Schwester hat. Ich wusste es, kannte Sie aber nicht und hätte an dem Ort auch niemanden anderen als Lydia vermutet.“
„Dann war Lydia an dem Abend also gar nicht in der Kanzlei.“ Ich konnte es immer noch nicht fassen. „Sie und die Zeugin haben mich für Lydia gehalten, und ich hatte angenommen, dass der Schattenriss der Frau, den ich durch die Glastür gesehen hatte, Lydia gewesen sein könnte. Dabei waren Sie das. Das ist doch verrückt.“
„Ja, irgendwie schon. Und das hatte Einfluss auf alles weitere, was dann noch passierte.“
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