Schicksalsmord (German Edition)
erhielten im Zusammenhang mit der übrigen Darstellung einen negativen Beigeschmack. Besonders herausgestellt wurden die 24 Jahre Altersunterschied zwischen Lydia und Dietrich und die Tatsache, dass sie ihn kürzlich wegen eines Jüngeren verlassen habe. Bezeichnenderweise gab es nicht den geringsten Hinweis auf Professor Rittweger. Weder seine Initialen noch sein Beruf wurden aufgeführt. Später erfuhr ich, dass er gleich am Tage von Lydias Verhaftung die Anwaltskanzlei eingeschaltet hatte, die ihn bereits gegen die liebeskranke Studentin vertreten hatte. Mit der Androhung drakonischer Strafen verhinderte sie sofort und auch später jede eingehendere Berichterstattung über ihn. Bei seiner Vernehmung würde er dann aussagen, mit meiner Schwester auf ihr Betreiben hin nur eine flüchtige Affäre und nie die Absicht zu einem dauerhaften Zusammenleben gehabt zu haben. Lydia hätte zufrieden sein können, bestätigte er doch im Kern ihre eigenen Aussagen. Andere Personen bewiesen weniger Zurückhaltung als Professor Rittweger, die Reinigungskraft Frau Saalfelder entwickelte sich regelrecht zum Medienstar und gab Interviews am laufenden Band. Detailbesessen beschrieb sie die Garderobe und den Schmuck Lydias, stellte Überschlagsrechnungen über die Häufigkeit und Höhe ihrer Ausgaben an, und schilderte wortreich Dietrichs wachsenden Unmut darüber. „Die Verschwendungssucht der schönen Witwe“ war der eine ganze Seite füllende Artikel überschrieben.
Frau Saalfelder mochte geschwätzig und nicht mit überragenden geistigen Voraussetzungen gesegnet sein, sie verfügte jedoch zweifellos über eine scharfe Beobachtungsgabe. Es habe durchaus Menschen gegeben, die Lydia nicht mochten, breitete sie für eine andere Zeitschrift aus, doch diese habe meine Schwester „bis aufs Messer“ bekämpft und skrupellos aus dem Weg geräumt. Frau Saalfelder erwähnte Dietrichs Tochter Carola, die jahrelang keinen Kontakt zum Vater gehabt hätte, und die frühere Sekretärin Fräulein Helmchen, die Lydia angeblich zu gut durchschaut habe und deshalb die Kanzlei verlassen musste. In diesem Zusammenhang führte der Autor des Artikels gleich noch aus, Carola habe wegen des gewaltsamen Todes ihres Vaters einen Nervenzusammenbruch erlitten und befinde sich in einer Klinik.
Von Lydias Zwist mit Carola wusste ich natürlich, und auch an den Namen der Sekretärin erinnerte ich mich, Lydia hatte ihren Weggang damals mit Genugtuung erwähnt. Das war allerdings noch vor ihrer Ehe mit Dietrich gewesen.
Zur Illustration der Artikel gab es zwei Fotos meiner Schwester, die immer wieder auftauchten. Das eine zeigte sie am Tage von Dietrichs Tod hinter der Polizeiabsperrung vor der Kanzlei. Ihr Gesichtsausdruck schwankte zwischen Neugier und Erstaunen, ich erinnerte mich, dass sie aufgenommen worden war, als sie sich von dem Stadtreinigungsmitarbeiter gerade seine Tatversion erzählen ließ. Ich wurde zum Glück fast völlig von ihm verdeckt.
Das zweite Foto war vor ca. fünf Jahren anlässlich der Eröffnung von Dr. Holger Hagedorns Kanzlei aufgenommen worden. Lydia liebte dieses Foto und zeigte es gern herum, weil sie darauf so gut getroffen war. In der Zeitung war es auch abgebildet gewesen, mit einem Bericht über die gelungene Vernissage, mit der Holger damals den Start in seine berufliche Selbständigkeit als Anwalt verbunden hatte. Es war eine Gruppenaufnahme, die drei Ehepaare zeigte. Ganz links stand Dietrichs erste Frau Edelburg, eine schlanke gutaussehende Frau mit sportlichem Kurzhaarschnitt, dann folgten Dietrich und Lydias damaliger Ehemann Thomas Gondschar. Neben Thomas bildete Lydia den strahlenden Mittelpunkt des Bildes. Sie trug ihr Haar hochgesteckt, lange Ohrgehänge, die ihr fast bis zu den Schultern reichten, und ein bodenlanges Abendkleid. Ihre Haare und Augen wirkten noch dunkler, als sie es in Wirklichkeit waren und verliehen ihrer Erscheinung etwas Südländisches. Das lange schwarze Kleid streckte ihre Gestalt und kaschierte, dass sich ihre Figur von der Taille abwärts etwas zu kräftig fortsetzte. Neben ihr posierten Holger und seine Frau Ulla für den Fotografen. Holger wirkte wie ein großer schlaksiger Junge, und auch Ulla sah mit ihrem langen Haar sehr jung und mädchenhaft aus.
Für die aktuellen Veröffentlichungen hatten die Zeitungen in schöner Übereinstimmung einen Bildausschnitt gewählt, der nur Lydia mit den drei Männern zeigte und die Frauen links und rechts einfach wegließ. Das Foto wirkte dadurch
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