Schicksalsmord (German Edition)
plötzliche Anschuldigung wegen Peter stellte mich jäh vor ein völlig neues Problem. Was hatte Ulrike vor, wollte sie eine Doppelmörderin aus mir machen? Ihre in Anwesenheit der Vollzugsbeamtin nur dürftig verschleiert vorgebrachten Anschuldigungen versetzten mich in Panik. Als ich ihr den Auftrag gab, das Auto abzuholen, wollte ich eigentlich nur noch einen Themenwechsel erzwingen und ich wollte, dass sie so schnell wie möglich geht. Es musste ja nicht für immer sein, doch wenn es so wäre, hätte ich es in diesem Moment nicht bedauert.
Ulrike:
Ich hatte natürlich erwartet, dass viele Menschen zu Dietrichs Beisetzung kommen würden, aber mit diesen Massen hatte ich dann doch nicht gerechnet. Neben der Familie, Freunden und Anwaltskollegen waren auch viele Schaulustige gekommen. Falls sie auf einen Skandal gehofft hatten, wurden sie enttäuscht, die Trauerfeier verlief unspektakulär und würdevoll. Dietrich wurde als Mensch, Freund, Familienvater und Anwalt gewürdigt. Es schien, als habe es Lydia nie gegeben und auch auf die tragischen Umstände seines Todes gab es keinerlei Anspielung. Ich hörte die Rede außerhalb der Kapelle, gemeinsam mit all jenen, die drinnen keinen Platz gefunden hatten. Mir war das nur recht, ich wollte im Hintergrund bleiben. Nur von weitem sah ich Dietrichs Familie. Seine Tochter Carola wirkte völlig gebrochen, sie wurde von ihrer Mutter und einem jungen Mann gestützt. Ich erkannte die Renos und die Kanzleisekretärin Frau Goldschmidt, außerdem Holger Hagedorn und seine Frau Ulla. Erst vor kurzem hatte mir Thomas auf meine Nachfrage hin ihre Geschichte anvertraut, und es machte mich froh zu sehen, wie sich Ulla an Holger anlehnte. Offenbar hatten sie wieder Vertrauen zueinander gefasst.
Nach der Beisetzung wollte ich den Friedhof über einen Seitenweg verlassen, denn auf dem Hauptweg standen noch mehrere Gruppen im Gespräch, an denen ich nicht unbedingt vorbei wollte. Überrascht stellte ich fest, wie dunkel es unter den hohen Bäumen schon war. Nach ein paar Schritten befiel mich das unangenehme Gefühl, verfolgt zu werden. Ich drehte mich um und nahm gerade noch eine schemenhafte Gestalt wahr, die hinter einer hohen Hecke Deckung suchte. War nun doch noch ein Reporter hinter mir her? Ärgerlich beschleunigte ich meine Schritte und wechselte wie ein Hase, der Haken schlägt, zweimal abrupt die Richtung, indem ich in immer neue Seitenwege einbog. Plötzlich bemerkte ich, dass ich in eine Sackgasse gelaufen war. Links und rechts lagen große alte Wahlgrabstätten und vor mir versperrte ein schwarzer Marmorengel mit ausgebreiteten Flügeln den Weg. Er wirkte bedrohlich in der Dunkelheit, und im gleichen Moment vernahm ich links von mir ein lautes Rascheln. Gerade wollte ich erleichtert aufatmen, weil ich als Uhrheber einen Igel auf der Suche nach einem Winterquartier ausgemacht hatte, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. Mein Aufschrei kam mir ziemlich laut vor, und er erschreckte wohl auch die grauhaarige ältere Dame hinter mir, die hastig ihre Hand zurückzog.
„Entschuldigen Sie bitte“, stammelte sie „ich wollte Sie wirklich nicht erschrecken.“
„Und wieso schleichen Sie mir nach?“ Es kam unfreundlicher heraus, als ich beabsichtigt hatte.
Sie entschuldigte sich jedenfalls gleich nochmal. „Ich wollte einfach sicher sein“, versetzte sie kleinlaut. „Sie sind Lydia Tanners Schwester, nicht wahr?“
Ich nickte knapp. Sie streckte mir ihre Hand entgegen. „Ines Helmchen, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.“ Sie entschuldigte sich zum dritten Mal. „Ich habe mal in Dr. Tanners Kanzlei gearbeitet.“
Ich erinnerte mich vage an die Sekretärin, der wegen Parteiverrats gekündigt worden war. Hatte sie nicht Schriftstücke für ihre Freundin kopiert?
„Ich muss dringend mit Ihnen reden“, sagte Ines Helmchen jetzt. „Können Sie vielleicht ein wenig Zeit erübrigen? Mein Wagen steht draußen, wir könnten zu mir fahren. Es ist nicht weit.“
Eigentlich hatte ich keine Zeit, doch ein Gefühl sagte mir, dass es um etwas wirklich Wichtiges gehen musste. Ich willigte also ein und befand mich kurz darauf mit Ines Helmchen auf dem Weg zu ihrer Wohnung.
„Wer hat Ihnen eigentlich gesagt, dass ich Lydia Tanners Schwester bin?“, fragte ich sie, als wir schon im Auto saßen.
Sie warf mir einen verschmitzten Seitenblick zu. „Niemand“, antwortete sie. „Das habe ich selbst herausgefunden. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar.“
Verblüfft
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