Schicksalspfad Roman
»War sie vielleicht unhöflich zu dir?«, wollte sie wissen. »Ist das nicht die Schauspielerin?«
»Farren? Eine Schauspielerin?«, fragte Joanne. »Nun, wenn deine Vorstellung von Schauspielerei ist, bloß mit halboffenem Mund dazusitzen wie blöd und ab und zu die Haare zurückzuwerfen.«
»Was hat sie dir denn angetan?«
»Also, Donny hat uns erst mal einander vorgestellt, und sie hat mich völlig unecht angelächelt. Im nächsten Moment blickt sie sich um, ob jemand Wichtiges in der Nähe ist, mit dem sie ins Bett gehen kann. Jeder weiß doch, dass sie so ihre Rollen bekommt. Und als Donny und ich gingen …«
»Du bist mit Donny gegangen?«, fragte Grace entsetzt. Sie war Donny nur einmal begegnet, an dem Tag im letzten Sommer, als Joanne einzog, aber sie hatte genug von seiner Fremdgeherei und Schlaucherei gehört (Joanne hatte ihm das Geld geliehen, um den Salon aufzumachen),
um eine ziemlich schlechte Meinung von ihm zu haben. Grace fand, dass man Joanne die Beziehung zu Donny ausreden musste.
»Ich bin nicht mit ihm nach Hause gegangen«, empörte Joanne sich, als wäre ihr das niemals in den Sinn gekommen. »Wir haben bloß eine Pizza zusammen gegessen, und dann ist er heimgegangen - er wollte nicht mal, dass ich ihn nach Hause bringe. Jedenfalls, als wir beide die Party verließen, wollte Donny sich von Farren verabschieden. Offensichtlich hatte sie inzwischen ein paar gekippt, denn sie starrte mir bloß auf den Busen und sagte: »Guter Job. Sieht ziemlich echt aus.« Weißt du, völlig sarkastisch, so, als würde mein Busen nie im Leben echt wirken. Das ist wohl das Blödeste, was mir jemals einer gesagt hat. Also habe ich geantwortet: »Glaub mir, wenn du denkst, ich würde tatsächlich jemanden dafür bezahlen, dass ich ständig dieses Gewicht mit mir herumschleppe und Kreuzschmerzen kriege und damit Schlampen und Pervis mich dauernd anstarren, dann bist du noch viel blöder, als du aussiehst, mein Schatz.«
»Sie klingt ziemlich schwierig«, meinte Grace, doch sie hatte ihre Zweifel, ob Joanne tatsächlich so reagiert hatte. Joanne übertrieb gerne ein bisschen.
»Sie hat nicht einmal Talent«, fuhr Joanne fort. »Sie verdient es nicht, auf derselben Leinwand mit Matt Conner aufzutauchen. Der kann immerhin gut spielen, nicht, dass er es nötig hätte. Der braucht einfach nur sein Hemd auszuziehen. Mann, ist der heiß! Hast du jemals Miss Luzifer gesehen?«
»Nein«, erwiderte Grace. »Ich habe noch keinen seiner Filme gesehen.«
»Du hättest mal sehen sollen, wie eifersüchtig Donny wurde, weil ich so auf Matt abfuhr. Er sagte ständig Dinge wie: Der Junge ist doch eine Niete. Ich finde Brando viel besser. Und de Niro, nicht so einen Homo mit Cowboyhut .«
Grace lachte. Joanne konnte gut andere Leute nachahmen.
»Und dann machte Matt einen Flip rückwärts von der Tischkante - völlig verrückt. Dann kam Farren zu uns und begann, mit Donny zu flirten: ›Oh, Donny, findest du, ich sollte mir den Busen machen lassen?‹ Ich hab sie bloß böse angestarrt, da hat sie sich verzogen.«
Auf dem Bruckner-Expressway in Richtung Norden spürte Grace die ungeheure Schubkraft der Maschine, weil Joanne nun voll aufdrehte. Mit einem leisen Aufschrei klammerte sie sich enger an die Fahrerin. Hinter ihnen glitzerte und dampfte Manhattan wie ein prächtiges Kriegsschiff: alle Kanonen gen Himmel gerichtet.
Das Haus hatte ihren Großeltern väterlicherseits gehört. Großpapa Jim war Feuerwehrhauptmann in New York gewesen und hatte in seinen letzten Jahren gerne Enten gemalt. Er starb, als Grace noch im College war. Großmama Alice hatte als Krankenschwester am St. Vincent gearbeitet, als man dabei noch weiße Häubchen und Kleider trug. Sie war vor sechs Jahren gestorben und hatte das Haus und den meisten Inhalt ihrer unverheirateten Enkelin vererbt, die nur eine Mietwohnung hatte. Das war ein fast demütigend großzügiger Akt gewesen, den Grace nicht zu verdienen glaubte, doch das hinderte sie nicht daran, ihre Schuhschachtel von einem Apartment in Gramercy schleunigst zu verlassen. Sie hatte sich immer
schon ihr eigenes Haus gewünscht, und das hier war besser, als sie es sich jemals hätte leisten können. Es war mit Zedernholzschindeln verkleidet und rechteckig, mit einem flachen, überhängenden Dach. Es war hell und luftig und stand direkt am Ufer auf drei Meter hohen Pfählen gegen Überschwemmungen. Es hatte auf allen Seiten Fenster und eine Holzveranda über die gesamte Länge zum Wasser
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