Schieber
zerlegt. Offiziell, weil noch
brauchbare Maschinen und Ausrüstungsgegenstände als Reparationen an andere
Länder geliefert werden sollen – als Ersatz für das, was die Deutschen dort im
Zweiten Weltkrieg zerstört haben. In Hamburg ist es aber ein offenes Geheimnis,
dass das eigentliche Ziel der Briten ist, eine der besten Werften der Welt für
immer stillzulegen – einen Konkurrenten auszuschalten, der nicht nur
Schlachtschiffe und U-Boote gebaut hat, sondern in friedlicheren Zeiten auch
Hunderte Ozeanliner und Frachter. Bauaufträge, die man oft genug den Werften in
Liverpool oder Belfast weggeschnappt hatte.
Speck deutet auf einen Haufen Maschinen, die etwa dreißig Meter
weiter neben einer Halle in der Sonne rosten. »Drehbänke, Fräsen, Bohrer,
Schweißgeräte, Niethämmer«, erklärt er. »Die mussten wir vor einem
Dreivierteljahr abbauen und dort lagern. Sie sollten angeblich als Lieferung an
die Sowjetunion gehen. Damals sind extra englische Militärpolizisten angerückt,
um uns zu überwachen. Und nun liegen sie immer noch hier und verrotten. Genosse
Stalin hat überhaupt kein Interesse an unseren Werkzeugen. Die Engländer haben
uns bloß gezwungen, sie ins Freie zu schaffen, damit sie dort verkommen.«
Wohl ein Kommunist, vermutet Stave. Mindestens jeder fünfte
Werftarbeiter stimmt seit 1945, als die Briten in Hamburg wieder Wahlen
erlaubten, für die KPD. Kann man beinahe verstehen, denkt er. Laut aber sagt
er: »Obwohl Sie seit zwei Jahren Ihre Werft auseinandernehmen, ist Ihnen der
Blindgänger in der Halle nie aufgefallen?«
Speck schüttelt den Kopf. »Da hatten wir bis 1945 U-Boot-Teile
gelagert. Seither war da niemand mehr drin, die stand leer. Wir waren heute
Morgen eher zufällig dort.« Er zögert, blickt seine Kameraden an, sieht sich
dann um, als könnte er belauscht werden, senkt die Stimme. »Die Maschinen da
hinten«, flüstert er, »die können wir doch nicht ewig da liegen lassen. Wir
wollten sie hier«, er ringt um das richtige Wort, »sicherstellen. Bis die
Engländer sie dann abholen«, setzt er hastig hinzu.
»Selbstverständlich«, erwidert Stave mokant. Die wollen ihre
Maschinen verstecken, um irgendwann wieder Blohm & Voss aufbauen zu können.
Was geht ihn das an? »Und da haben Sie den Blindgänger mit dem Toten darauf
entdeckt?«
»Das war nicht zu übersehen«, antwortet Speck. Seine rissigen Hände
zittern nun leicht. »Wir haben uns ganz schön erschrocken.«
»Waren Sie näher dran? Haben Sie etwas angefasst?«
Alle Arbeiter schütteln die Köpfe. »Einen Blindgänger? Ich bin doch
nicht lebensmüde«, erklärt Speck. »Wir stolpern hier andauernd über Bomben, die
noch nicht hochgegangen sind. Hier könnten alle Feuerwerker Zelte aufschlagen,
so oft sind die hier.«
»Sie waren also nur an der Tür?«, fragt der Oberinspektor und deutet
auf den Eingang, der an der Schmalseite der Lagerhalle offen steht – noch
weiter von dem Toten entfernt als das Mauerloch, hinter dem er bis eben noch gekauert
hat.
Speck nickt. »Ein, zwei Schritte rein vielleicht noch, dann haben
wir Fersengeld gegeben.«
»Kennen Sie den Jungen?«
Wieder Kopfschütteln.
»Könnte das ein Lehrjunge sein? Ein Laufbursche?«
»Nein. Wir dürfen keine Jungs mehr ausbilden, wozu auch? Und
Laufburschen brauchen wir hier nicht.«
Speck zögert, bis er einen ermunternden Blick von Stave auffängt.
Noch eine Zigarette wechselt von Hand zu Hand. »Hier stromern oft Jungens
herum«, fährt er fort. »Wir verscheuchen sie, wenn wir sie erwischen. Waisen,
Flüchtlinge, DPs. Bengels ohne Heim und Eltern, die ihnen mal die Ohren lang
ziehen. Klauen wie die Raben. Sie werden das ja kennen bei der Polizei.«
Der Oberinspektor seufzt. Tausend oder mehr Kinder verstecken sich
in Hamburgs Ruinen. Zehn-, Zwölf-, Vierzehnjährige, die den Bombenhagel oder
die Flüchtlingstrecks als Einzige ihrer Familien überlebt haben. Die Kohlen aus
den Frachtzügen stehlen, Lebensmittelmarken verschwinden lassen, auf dem
Schwarzmarkt für die Schieber Schmiere stehen oder sich am Hauptbahnhof für ein
paar Zigaretten und ein Nachtlager verkaufen. Manche sind so verroht, dass sie
auch Morde begehen.
»Wenn der Feuerwerker mit seiner Arbeit fertig ist, wird der Beamte
hier«, er deutet auf Kienle, »Fotos des Toten machen. Er wird sie später auf
der Werft herumreichen. Bitten Sie alle Ihre Kollegen, sich die Bilder
anzuschauen. Vielleicht hat einer von Ihnen den Jungen schon einmal gesehen,
ihn einmal bei irgendetwas
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