Schief gewickelt (German Edition)
Caio, der nach dem Abi einen kleinen Künstlerdienst aufgebaut hat, gelegentlich kleine Rollen in Werbespots und unbedeutenden Fernsehproduktionen, meist ohne Text. Er ist schon wirklich aufgeweckt, das muss man ihm lassen. Er findet sogar Engagements für Leute, die nicht mal »Alle meine Entchen« ohne Stottern vorsprechen könnten. Hauptsache der Typ passt.
Kawumm!
Nein, Piotr darf man wirklich nicht frei zum Schuss kommen lassen. Der Zaun hinter dem netzlosen Tor hat eine Beule gekriegt.
Am Anfang waren Caios Jobs für mich nur Spaß, aber seit ich neulich drei Sätze in dem Kinderfilm »Ich glaub, ich spinne, der Lehrer macht blau!« sprechen durfte, habe ich Blut geleckt. Ich will das jetzt auf ganz andere Füße stellen. In gut einer Woche mache ich die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch . Ab dann geht es steil bergauf. Während des Studiums werde ich mich vielleicht noch ein wenig mit Caio-Engagements über Wasser halten, aber irgendwann werde ich das nicht mehr nötig haben. Dann werden wir uns natürlich auch seltener sehen, aber das ist okay.
So. Spiel vorbei. Unentschieden. Ein Glück, dass wir uns immer so früh treffen. Inzwischen ist es so heiß, dass man das Gerenne jetzt auf keinen Fall mehr anderthalb Stunden durchhalten würde.
»Tschüss.«
»Bies näxte Mall.«
»Besser decken, tausendmal gesagt!«
Wir gehen los. Ein paar Meter weiter sitzen Amelie und Julia, wie jeden Freitag um die Zeit, auf ihrer Studier-Parkbank und lernen Tiermedizinkram. Besser mal nicht stören, denke ich mir, aber Amelie hat uns gesehen und winkt.
»Hallo! Na, kräftig gerannt?«
»Och, ja. Bisschen Sport halt.«
Sie lächelt und mein Magen macht komische Dinge. Ob Amelie überhaupt weiß, wie sie lächelt?
»Du, ich wollte dich schon die ganze Zeit was fragen.«
Sie sieht sich um, als ob sie Angst hat, ertappt zu werden. Ich weiß schon, was jetzt kommt.
»Glaubst du, Tobi will was von Miriam? Ich seh die jetzt immer zusammen.«
»Nein, glaub ich nicht. Die sammeln nur beide Manga-Comics.«
»Ach so, dann bin ich ja beruhigt.«
»Wieso? Miriam ist doch nett.«
»Die wär nichts für ihn.«
Während wir reden, guckt Julia wie ihre braungebrannten Füße im Gras herumspielen und nestelt an dem Lederband herum, das sie um den linken Knöchel trägt. Nur hin und wieder sieht sie hoch und mustert Arne und mich mit halb belustigten, halb verächtlichen Blicken. Das hat aber weder was mit unserer sportbedingten Verschwitztheit noch mit Arnes lächerlicher roter Shorts zu tun, sondern kommt einfach daher, dass wir Männer sind.
Man muss Julia verstehen. Ihre Mutter ist Professorin am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Uni oder, mit anderen Worten, an der zentralen deutschen Feministinnen-Kaderschmiede. In dem Alter, in dem andere Mädchen Hanni und Nanni gelesen haben, verschlang Julia bereits alle Standardwerke über die Unterdrückung der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft, und das ist harter Stoff. Wenn man sich da richtig reinfräst, kann man, egal ob Mann oder Frau, gar nicht anders, als in hilfloser Sauwut enden. Und dann ist die Frage, wohin damit? Wo ist der Feind, den ich packen kann? Das ist in anderen Fällen viel einfacher. Kommt einer mit Hakenkreuz daher, kann man sofort seine Fäuste in ihm versenken und dazu brüllen »Der hier ist für Auschwitz, der für den Zweiten Weltkrieg und der für euren unsäglichen Frisurengeschmack.« Damit macht man bestimmt nichts verkehrt. Aber was macht man, wenn man einem Mann begegnet? »Der hier ist für Zwangsheirat, der für Vergewaltigung, der für Ehrenmord und der für das systematische Fernhalten der Frauen von Bildung«? Muss man vorsichtig mit sein, denn nicht jeder Mann und so weiter.
Könnte ich mir mal eine wirklich anspruchsvolle Frauenrolle aussuchen, würde ich glatt die von Julia nehmen: Frau, die für ihre Rechte kämpfen will, aber ausgerechnet in einer der, global betrachtet, völlig exotischen Umgebungen lebt, in denen sie und ihresgleichen aufgrund glücklicher kulturgeschichtlicher Fügungen nicht mehr so doll unterdrückt werden. Ein emotionaler Teufelskreis vom Feinsten.
Eigentlich komisch, dass jemand wie Julia ausgerechnet Tiermedizin studiert – und sich dabei dann auch noch mit jemandem wie Amelie anfreundet und sich von ihr dauernd in eine Männer- WG schleppen lässt. Aber so ist es eben. Alles immer ein bisschen komplizierter, als man denkt, vor allem die Gefühle. Muss man
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