Schief gewickelt (German Edition)
natürlich eine Schlüsselrolle. Aber ich fürchte, der drohende Reparaturstau ist noch nicht mal die schlimmste Folge von Hendriks Abgang Richtung Land- WG in Klein Ziethen. Viel bedenklicher ist der Dunst der Trägheit, der sich mit jedem Tag mehr zwischen uns ausbreitet, seit Hendrik nicht mehr rumhüpft und Hektik verbreitet. Unsere gesamten Hoffnungen ruhen jetzt auf Reto, unserem neuen Mitbewohner aus der Schweiz, der morgen einziehen wird – falls dann das Haus noch steht.
Ich biege in die Eichendorffstraße ein und stehe nach wenigen Metern vor Arnes Haus, einem öden 50er-Jahre-Wohnriegel, der, nur ein paar Straßenecken von der schicken Friedrichstraße entfernt, seine depressive Aura verbreitet. Auf dem Klingelschild steht immer noch kein Name. Ich hätte Arne wirklich nie und nimmer mit diesem Micha zusammenziehen lassen dürfen, denke ich mir einmal mehr, während ich an die Tür gelehnt geschlagene drei Minuten auf den Summer warte. Als es endlich so weit ist, falle ich mit meiner Sporttasche in den engen Eingangsflur, rapple mich wieder hoch und steige, wie jeden Freitag um diese Zeit, die drei Etagen hoch. Die Wohnungstür steht offen. Ich kämpfe mich durch einen Wust aus leeren Wasserflaschen und Pizzakartons zu Arne und Micha durch. Sie sitzen wie jeden Freitag – und wie jeden anderen Wochentag auch und, nicht zu vergessen, fast jede Nacht – vor ihren Bildschirmen und machen Dinge, die ich nicht verstehe.
Arne war früher in der Schule mein bester Freund. Bis er seinen ersten Computer bekam. Ab dann war der sein bester Freund. Und Leute wie dieser Micha.
»Mann, du hast wieder nicht gepackt, Arne.« »Hm, was? Schon wieder Freitag?«
Er sieht nicht mal hoch. Ich gehe in sein Zimmer, krame seine Sportsachen zusammen und schmeiße sie in seinen Rucksack. Wir müssen schauen, dass wir loskommen. Arne sitzt immer noch neben Micha und tippt mit Lichtgeschwindigkeit auf seiner Tastatur herum.
»Komm jetzt!«
»Hm? Ja, gleich.«
Ich lege laut seufzend meinen Zeigefinger auf den Ausschalter der Steckerleiste, die alle Computer im Raum mit Strom versorgt.
»Zehn, neun, acht, sieben, sechs …«
Bei »zwei« steht Arne tonlos auf und geht mit mir mit. Er weiß, dass ich es getan hätte. Ich habe es einmal getan. Das hat gereicht. Micha bleibt einfach sitzen und tippt weiter, als wäre nichts geschehen.
***
Als wir beim kleinen Sportplatz im Monbijoupark ankommen, sind Fatmir, Göktan, Piotr und die anderen schon da. Wir treffen uns hier seit Jahr und Tag jeden Freitag und wissen nichts voneinander als unsere Namen und dass Piotr einen verdammt harten Schuss hat. Das ist immer so bei Parkmannschaften. Wozu reden, wenn man einen Fußball hat?
Um die Teams festzulegen, brauchen wir gerade mal drei Sekunden, und schon geht es los. Leider ist Arne in der anderen Mannschaft. Das ist hart. Arne kann nämlich nur zwei Dinge: Geheimdienstserver hacken und Fußball spielen. Aber die kann er beide richtig gut. Ich muss rennen wie ein Windhund und sauge die um diese Zeit noch angenehm laue Sommerluft bis in die hintersten Winkel meiner Lunge ein.
»Besser decken, tausendmal gesagt!«, schreit Fatmir. Er hat recht, dieser Querpass hätte niemals ankommen dürfen. Aber Fatmir schreit immer »Besser decken, tausendmal gesagt!«, auch wenn er gefoult wurde oder wenn er den Ball haben will. Irgendwie ist das der einzige deutsche Satz, den er kann.
Wir spielen immer anderthalb Stunden ohne Pause. Ein Glück, dass es diesen Termin gibt. Ohne Fußball würde es mit Arnes Gesundheit rapide bergab gehen. Ich hätte ihn wirklich niemals mit Micha zusammenziehen lassen dürfen.
Mein Handy summt in meiner Hosentasche. Mist, ich muss Arne im Auge behalten. Nur mal kurz gucken … Caio? Der weiß doch, dass wir um diese Zeit spielen. Muss wirklich was Wichtiges … ha, denkste, Arne. Ich kenn dich doch. Immer wenn du die Zunge aus dem linken Mundwinkel steckst, willst du mich tunneln. So, der Ball gehört mir. Wohin damit? Schönen langen Pass in den Lauf von Göktan – und Tor! Jawoll.
»So gäht!«
»Brrravo!«
»Besser decken, tausendmal gesagt!«
Caio war früher in der gleichen Klasse wie ich. Ihn sehe ich etwas öfter als Arne. Das liegt vor allem daran, dass wir geschäftlich miteinander zu tun haben. Ich bin nämlich Schauspieler. Gut, meine Karriere ist noch ziemlich am Anfang. Eigentlich gab es bis jetzt nur zwei Stationen: Fünf Jahre Schülertheatergruppe Immanuel-Kant-Gymnasium, und seitdem vermittelt mir
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