Schief gewickelt (German Edition)
mit den Ärzten sorgfältig vorbereitet.
»Bleib ganz ruhig, Markus. Du bist im Krankenhaus. Du hattest einen Nervenzusammenbruch, aber der Chefarzt sagt, mit ein bisschen Ruhe wird das bald wieder. Daniel geht es auch gut. Er steht hier neben mir und will dich schon die ganze Zeit mit Gummibären füttern, damit du wieder gesund wirst. Und sei beruhigt. Wir haben die feindliche Übernahme erst mal abgewehrt, und um den ganzen Rest kümmert sich jetzt Dr. Gerlach. Ich hab Urlaub genommen und kann mich um alles kümmern.«
»Simone, ich hatte einen fürchterlichen Traum.«
»Was denn, mein Schatz?«
Mir entgeht nicht, wie sie einen besorgten Blick mit einem der Weißkittel austauscht.
»Ich bin mit Daniel in eine außer Kontrolle geratene Menschenmenge am Potsdamer Platz geraten und kam nicht mehr raus. Irgendwo sind wir dann gegen eine Bühne gestoßen. Auf der Bühne stand Scarlett Johansson und hat Daniel auf den Arm genommen, und Daniel hat ihr einen frischen Popel gezeigt, und ich hatte meine schlimmen Shorts an.«
Bevor Simone etwas sagt, sieht sie noch mal den Weißkittel an. Der zögert kurz und nickt dann.
»Okay, Markus. Das war kein Traum. Das ist wirklich passiert. Es war zu viel Stress für dich. Du bist dann einfach kollabiert. Frau Johansson war völlig verstört. Sie hat Daniel nicht mehr von ihrem Arm gelassen, bis sie ihn bei mir abliefern konnte. Sie ist wirklich sehr nett. Und du wirst es nicht glauben, sie stand bis eben gerade noch h…«
Jetzt schüttelt der Weißkittel energisch den Kopf, und Simone bricht den Satz ab.
E PILOG
»Hui! Hui! Hui! Hui!
Hui! Hui! Hui! Hui!«
Inzwischen sind viele Monate vergangen. Es ist allerhand passiert.
»Hui! Hui! Hui! Hui!
Hui! Hui! Hui! Hui!«
Simone ist ins Top-Management der NBW-Group aufgestiegen. Duisburg ist abgestiegen. Ich habe die wilden Waldwatze komplett gekriegt. Tante Hilda hat eine Modeboutique in Berlin Mitte eröffnet. Herr Baumer ist drei Tage nach dem Bobby-Car-Rennen völlig durchgeknallt, hat eine Vorstandssitzung irgendeiner Versicherung gestürmt und dort blankgezogen. Danach war er ein paar Tage in der Geschlossenen, aber seit er wieder raus ist, geht es ihm besser denn je. Und Becker hat vor einem Monat in einem Keller in der Kastanienallee den Bobby-Car Klub eröffnet. Schummerlicht, anspruchsvolle Getränke, richtungsweisende Musik und die strengste Tür der Stadt. Jeder, der auch nur irgendwie mit einer Werbeagentur zu tun hat, kommt nicht rein.
»Hui! Hui! Hui! Hui!
Hui! Hui! Hui! Hui!«
Wir stehen auf der kleinen Bühne rechts neben der Bar und bringen den Raum zum Kochen. Wir, das sind Herr Baumer, Bandmutter-Karsten und ich. Karsten ist der erste Musiker der Welt, der Umhänge-Laptop spielt. Und wie er spielt. Wir hören gleichzeitig ein Marimbaorchester, hundert Geigen, einen sechzehnköpfigen Bläsersatz und eine Rhythm Section, die selbst Booker T Respekt eingeflößt hätte. Und es klingt, als würden die virtuellen Musiker nicht auf der Bühne stehen, sondern im Publikum umherwandern.
Auf der anderen Seite der Bühne sitzt Herr Baumer vor meinem Wurlitzer und verschiedenen anderen museumsreif wirkenden Elektroinstrumenten. Er schickt die abenteuerlichsten Klänge der Welt in den Raum und lässt sie in tausend Varianten über Karstens Rhythmusteppichen tanzen. Jede Sekunde eine neue Überraschung, und alles passt, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Leute, die in sein Gesicht blicken, sehen pures Glück aus seinen Augen strahlen. Die meisten konzentrieren sich aber auf sein Outfit. Heute ist es ein türkisfarbener Jogginganzug mit weißen und blauen Diagonalstreifen auf der Brust.
Im Publikum stehen ebenfalls einige Männer mit türkisfarbenen Jogginganzügen. Es sind aber noch die Modelle von letzter Woche mit den magentafarbenen Bündchen. Gleich morgen werden sie Tante Hildas Modeboutique stürmen und ihr die neue Kollektion, die Herr Baumer gerade vorführt, aus den Händen reißen. Kaum zu glauben. Wenn mir vor einem Jahr jemand erzählt hätte, dass dieser Mann einmal eine Stilikone sein wird, wäre ich vor Lachen die Wände hochgegangen.
»Hui! Hui! Hui! Hui!
Hui! Hui! Hui! Hui!«
Vorne stehe ich und singe. Aber nicht mit der Schreistimme. Karsten hat mich überzeugt, dass ich mich doch ein wenig überschätzt habe. Viel zu säuselig, meinte er, und er hatte recht. Aber er hat mich damit auf die entscheidende Idee gebracht. Ich singe Heavy-Metal-Hits. Mit Säuselstimme. Auf Deutsch.
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