Schieß, wenn du kannst Kommissar Morry
krümmte . . . und dann krachte es. Einmal, zweimal, dreimal. Es war, als würde der Körper der jungen Frau bei jedem Schuß von einem Peitschenhieb getroffen.
Sie blickte Raymond Graham an . . . mit dem leeren Erstaunen eines Kindes, das vergebens auf eine Erklärung hofft. Dann, in Sekundenschnelle, brach etwas in diesen Augen... irgend etwas, das nie wieder zum Leben erweckt werden konnte.
Raymond Graham keuchte. Er sah aus, als müsse er sich übergeben, und aus seinem geöffneten Mund kamen Töne, als kämpfe er vergeblich um Luft. Dann brach Ann Graham zusammen. Sie fiel mit dem Gesicht nach unten und blieb liegen.
In Raymond Grahams Augen loderte etwas, das wie Wahnsinn aussah . . . aber gleichzeitig eine Verzweiflung war, für die es keine Worte gab. Er ließ die Pistole fallen und warf sich neben seiner Frau auf den Boden.
„Ann, Liebling!" stotterte er. „Liebling . . . oh, bitte, verzeih mir! Oh, Ann ..."
Seine Stimme brach. Schluchzend barg er den Kopf in der Fülle des leuchtend roten Haares.
Ray nahm ein Taschentuch heraus und hob die Pistole vorsichtig auf. Ohne die Waffe mit den Fingern zu berühren, legte er das Tuch darum und schob die eingewickelte Pistole ins Jackett. Er wollte noch etwas zu Graham sagen, aber er fühlte, daß es nichts mehr zu sagen gab. Als er den Korridor entlang ging, hörte er, daß im Obergeschoß eine Tür geöffnet wurde. Die Dienerschaft, dachte er. Man hat die Schüsse gehört . . .
Er eilte auf die Besenkammer und stieg dann leise die Wendeltreppe hinab. Als er im Freien stand, hörte er das Jubilieren der Vögel. In diesem Augenblick haßte er die Natur. Ray verließ das Grundstück so, wie er es betreten hatte. Er kletterte über den Zaun. Als er auf dem Bürgersteig stand, fühlte er sich wieder allen Gefahren der Straße preisgegeben. Beim Laufen spürte er außerdem die Last der Pistole in der Jackettasche.
Ich werde das Ding vergraben müssen, dachte er. Jedenfalls kann mir Graham kein Bein mehr stellen. Ich habe die Mordwaffe mit seinen Fingerabdrücken in der Hand. Er wird sich hüten, der Polizei das von ihm erfundene Märchen zu erzählen. Oder . . .?
Zuzutrauen wäre es ihm wohl. Es klang so einleuchtend, so plausibel . . .
CRANE WIRD BEI EINBRUCH ERTAPPT UND ERSCHIESST DAME DER GESELLSCHAFT. Vielleicht steht es heute Abend sogar in der Nachtausgabe der großen Zeitungen.
Irgendwo wird sich eine weitere Nachricht finden: GRAUSIGER FUND IN VILLENRUINE.
Ich könnte den Zeitungen und ihren Reportern wahrhaftig eine Menge interessanten Stoff liefern, aber leider fehlen mir dazu die Zeit und die Gelegenheit. Ich habe mehr als genug damit zu tun, mich selbst in Sicherheit zu bringen. Er faßte sich ans Kinn und spürte die harten, kratzenden Stoppeln des Bartes. Dann schaute er auf seine Uhr.
Zwanzig Minuten nach sieben. Ray dachte an Mrs. Graham und ihre Äußerungen.
In einem Punkt hatte sie nur allzu recht gehabt: sein Kopf mit der ausgeprägt kantigen Kinnpartie und den großen, steingrauen Augen beschwor zu jeder Stunde neue Gefahren des Erkanntwerdens herauf. Am schlimmsten war es hier, auf den einsameren Straßen der Außenbezirke, wo jeder Fußgänger neugierig gemustert wurde, da sich dem Auge sonst nichts Interessantes bot. In der City fiel man weniger auf. Da wurde man vom Strom der Menschen getragen, ein unscheinbarer Tropfen in der Welle der im grauen Fluß vorwärts hastenden Stadtbewohner. Ray blickte an sich herunter. Er klopfte noch etwas Staub von den Hosen und ging dann weiter. Er war weder gut noch schäbig gekleidet. Sein grauer Flanellanzug hielt genau die Mitte, und niemand achtete darauf, daß die Bügelfalte kaum noch zu erkennen war.
Schlimmer sah es schon mit dem Hemd aus; sein Kragen war längst nicht mehr sauber. Das gleiche galt von den Manschetten. Ich werde mir ein Hemd kaufen müssen, überlegte er. Und die Schuhe müssen geputzt werden . . .
Ray hatte eine Bushaltestelle erreicht. Er wartete, bis einer der roten, doppelstöckigen Busse hielt und stieg ein. Der Schaffner blickte ihn kaum an. Ray löste eine Karte in die Innenstadt und setzte sich in den oberen Teil des Busses. Er wählte den vordersten Platz, so daß die anderen Fahrgäste nur seinen Rücken zu sehen vermochten. Zum Glück waren um diese Zeit nicht viele Leute im Bus. Die wenigen Männer, die stadtwärts fuhren, hatten sich hinter ihren Morgenzeitungen verschanzt. Ray entspannte sich etwas.
Er dachte schon wieder an die junge Frau des Mr.
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