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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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ganzen Landes suspendiert ist? Aber für Vater hatte sich MrsGandhi damit nun vollends zum Diktator über ganz Indien aufgeschwungen. Keiner hatte den Kamelen im Zoo ein Haar gekrümmt, und doch brachte dieser Vorfall für Vater das Fass zum Überlaufen.
    »Bald kommt sie zu uns und erzählt uns, ihre Gefängnisse sind voll«, brüllte er, »sie braucht mehr Platz. Können wir bitte Desai zu den Löwen stecken?«
    Morarji Desai war ein Oppositionspolitiker. Nicht gerade ein Freund von MrsGandhi. Es quälte mich, wie die Sorgen an Vater nagten. Meinetwegen hätte MrsGandhi persönlich den Zoo in die Luft jagen können, wenn nur Vater wieder froh geworden wäre. Wenn er nur nicht so gelitten hätte. Es ist schlimm für einen Sohn, wenn er sieht, dass sein Vater krank vor Sorge ist.
    Aber Sorgen machte er sich nun einmal. Kein Geschäft ohne Risiko, und je kleiner das Geschäft, desto mehr riskiert man das Hemd am Leibe. Ein Zoo ist eine Kulturinstitution. Wie eine öffentliche Bibliothek, wie ein Museum dient er der Volkserziehung und der Wissenschaft. Und ist gerade deswegen kein allzu profitables Unternehmen, denn Gemeinwohl und volle Kassen vertragen sich, sehr zum Kummer meines Vaters, nicht gut. Wir waren eben keine reiche Familie, jedenfalls bestimmt nicht nach kanadischen Maßstäben. Wir waren eine arme Familie, der durch Zufall eine Menge Tiere ins Haus gekommen war, und zwar in ein Haus, das ihr nicht gehörte. Das Leben eines Zoos hängt genauso am seidenen Faden wie das Leben der Tiere in der Wildnis. Er ist kein so großer Betrieb, dass er auf das Gesetz nicht angewiesen wäre, aber auch kein so kleiner, dass er sich durchmogeln könnte. Damit ein Zoo wächst und gedeiht, braucht er eine demokratische Regierung, freie Wahlen, Redefreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und alles, was sonst noch in der indischen Verfassung festgeschrieben ist. Ohne das kann keiner einen Zoobesuch genießen. Schlechte Politik, noch dazu wenn sie auf unabsehbare Zeit schlecht bleiben wird, ist schlecht fürs Geschäft.
    Leute ziehen fort, weil sie die Unsicherheit nicht mehr aushalten. Weil das Gefühl sie zermürbt, dass sie sich noch so abmühen können und trotzdem nichts erreichen werden, dass das, was sie in einem Jahr aufbauen, andere in einem Tag wieder einreißen werden. Weil sie nicht mehr an die Zukunft glauben, nicht für sich und schon gar nicht für ihre Kinder. Weil sie zu dem Schluss gekommen sind, dass sich nie etwas ändern wird und dass Glück und Wohlstand nur anderswo zu finden sind.
    Das Neue Indien in Vaters Kopf wurde brüchig, und schließlich fiel es ganz auseinander. Mutter willigte ein. Wir würden uns davonmachen.
    Die Ankündigung kam beim Abendessen.
Kanada!
Andhra Pradesh, unser Nachbar im Norden, wäre schon Ausland gewesen, Sri Lanka, ein Katzensprung übers Meer, die Rückseite des Mondes. Da kann man sich ausmalen, wie uns Kanada vorkam. Kanada war schlicht und einfach unvorstellbar. Es war wie Timbuktu, ein Name, der nichts anderes bedeutete als unendlich weit fort.

Kapitel 30
    Er ist verheiratet. Ich stehe kopfunter, ziehe gerade meine Schuhe aus, da höre ich ihn sagen: »Darf ich vorstellen - meine Frau.« Ich blicke auf, und da steht sie neben ihm ... MrsPatel. »Hallo«, sagt sie und hält mir lächelnd die Hand hin. »Piscine hat mir schon viel von Ihnen erzählt.« Das kann ich im umgekehrten Fall nicht sagen. Ich hatte keine Ahnung. Sie ist auf dem Weg zur Arbeit, wir unterhalten uns nur ein paar Minuten lang. Sie ist ebenfalls Inderin, spricht aber eher mit kanadischem Akzent. Zweite Generation vermutlich. Sie ist ein wenig jünger als er, die Haut ein wenig dunkler, das lange schwarze Haar zu einem Zopf geflochten. Blitzende dunkle Augen, stattliche weiße Zähne. Unter dem Arm hat sie einen weißen Laborantenkittel, noch in der Tüte aus der Reinigung. Sie arbeitet in einer Apotheke. Als ich sage: »Schön, Sie kennen zu lernen, MrsPatel«, antwortet sie: »Sagen Sie doch Meena.« Die beiden tauschen einen flüchtigen Kuss, dann ist sie fort zum Samstagsdienst.
    Dieses Haus ist mehr als nur eine Schachtel voller Bilder. Jetzt fallen mir die kleinen Anzeichen auf, dass zwei Menschen hier wohnen. Sie waren von Anfang an da gewesen, aber ich hatte sie nicht gesehen, weil ich nicht damitgerechnet hatte.
    Er ist ein schüchterner Mann. Das Leben hat ihn gelehrt, nicht mit dem zu prahlen, was ihm das Wertvollste ist.
    Stammen die Anschläge auf meinen

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