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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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Groß und Klein unterscheiden, dicke Lederhaut von weichem Fell? Weiß ein Delphin nicht, wie ein Delphin aussieht? Ich würde die Antwort eher bei etwas suchen, von dem ich schon gesprochen habe, und zwar bei jenem Maß Wahnsinn, das, wenn auch auf den seltsamsten Umwegen, stets zum Guten der Natur ist. Der Goldhase brauchte genau wie das Rhinozeros einen Gefährten. Die Zirkuslöwen wollen gar nicht wissen, dass ihr Anführer ein schwächlicher Mensch ist, Hauptsache, sie haben ein gutes Leben ohne das Durcheinander, das ihnen so verhasst ist. Und die Löwenkinder würden umfallen vor Schreck, wenn sie wüssten, dass ihre Mutter ein Hund ist, denn das würde bedeuten, dass sie mutterlos sind, das schlimmste Unglück, das sich ein junger Warmblüter überhaupt vorstellen kann. Ich bin sicher, selbst die erwachsene Viper spürte in ihrem nicht gerade großen Verstand eine Art Bedauern, als sie die Maus verschlang, das Gefühl, dass sie gerade die Chance zu etwas Besserem vertan hatte, den Sprung verpasst, der sie über die triste, einsame Reptilienrealität hinausgebracht hätte.

Kapitel 33
    Er zeigt mir Erinnerungsstücke. Zuerst die Hochzeitsfotos. Eine Hinduhochzeit vor unverkennbar kanadischer Kulisse. Er in jüngeren Jahren, sie in jüngeren Jahren. Ihre Hochzeitsreise haben sie zu den Niagarafällen gemacht. Und waren glücklich. Das Lächeln beweist es. Wir gehen in der Zeit zurück. Bilder aus seinen Studententagen an der U of T: mit Freunden, vor St. Mike's, in seinem Zimmer, an Diwali in der Gerrard Street, als Prediger an der Basiliuskirche im weißen Talar, in einem anderen weißen Kittel im Labor der Zoologischen Fakultät, bei der Abschlussfeier. Immer mit einem Lächeln, doch seine Augen sprechen eine andere Sprache.
    Bilder aus Brasilien, mit zahlreichen Dreifingerfaultieren in situ.
    Mit dem nächsten Umblättern machen wir den Sprung über den Pazifik - und da ist so gut wie nichts. Die Kamera war immer dabei, versichert er mir, bei den üblichen wichtigen Ereignissen, aber alles ist verloren gegangen. Die wenigen Aufnahmen, die da sind, hat Mamaji nach den Ereignissen zusammengesucht und ihm geschickt.
    Ein Bild zeigt den Zoo, aufgenommen beim Besuch eines hohen Politikers. In Schwarzweiß enthüllt es mir eine fremde Welt. Auf dem Foto drängen sich die Menschen um den Kabinettsminister der Union, der im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Im Hintergrund eine Giraffe. Fast am Rand der Gruppe erkenne ich einen jüngeren MrAdirubasamy.
    »Mamaji?«, frage ich und zeige auf ihn.
    »Ja«, sagt er.
    Neben dem Minister steht ein Mann, Hornbrille, das Haar sehr ordentlich gekämmt. Den könnte ich mir als MrPatel vorstellen, nur das Gesicht ist runder als das seines Sohns.
    »Ist das Ihr Vater?«, frage ich.
    Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, wer das ist.«
    Ein paar Sekunden Pause folgen, dann sagt er: »Vater hat das Bild gemacht.«
    Auf derselben Seite ist noch ein weiteres Gruppenfoto, größtenteils Schulkinder. Er tippt mit dem Finger darauf.
    »Das ist Richard Parker«, sagt er.
    Ich sehe genau hin, versuche von der äußeren Erscheinung auf die Persönlichkeit zu schließen. Leider ist es wieder nur schwarzweiß und ein wenig unscharf. Ein Bild aus besseren Tagen, ein sorgloser Schnappschuss. Richard Parker hat den Kopf abgewendet. Er merkt gar nicht, dass er fotografiert wird.
    Die gegenüberliegende Seite ist ganz von einem Farbfoto des Swimmingpools im Aurobindo-Aschram ausgefüllt. Es ist ein schönes großes Freibad mit kristallklarem Wasser, einem makellos blauen Boden und einem Tiefbecken zum Springen.
    Ein Bild auf der nächsten Seite zeigt den Eingang zum Petit Séminaire. Auf dem Torbogen steht das Motto der Schule: Nil magnum nisi bonum. Es gibt nichts Großes ohne das Gute.
    Und das ist alles. Vier unbedeutende Fotografien, die Erinnerung an eine ganze Kindheit.
    Er wird ernst.
    »Das Schlimmste ist«, sagt er, »dass ich kaum noch weiß, wie meine Mutter aussah. In Gedanken sehe ich noch ein Bild, aber es ist flüchtig. Wenn ich versuche, sie mir genauer anzusehen, verschwindet sie. Mit ihrer Stimme geht es genauso. Sähe ich sie auf der Straße wieder, würde alles zurückkommen. Aber das wird wohl kaum geschehen. Es ist so furchtbar traurig, wenn man das Bild der Mutter verliert.«
    Er klappt das Album zu.

Kapitel 34
    Vater sagte: »Wir stechen in See wie Kolumbus!«
    »Aber der wollte
nach
Indien«, wandte ich grimmig ein.
    Wir verkauften den Zoo, vom ersten bis zum

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