Schiffe versenken
verschwand. Auf Deck regte sich nichts. Ob wohl jemand von seiner Mannschaft überlebt hatte? Im Grunde gab er sich keinen Illusionen hin, denn die Piraten hatten mit Sicherheit keinen Überlebenden zurückgelassen. Und Anna fuhr in dem großen Schlauchboot davon.
Dann hörte er trotz des anhaltenden Klingeltons in seinen Ohren ein weiteres Geräusch. Zwar noch weit entfernt, aber eindeutig: Helikopterrotoren. Der Lärm kam von Backbord und nahm zu, und der Pilot würde nicht mehr lange brauchen, um das hell beleuchtete Ladungsdeck auszumachen.
Hamnet stand wie angenagelt da, ließ die Waffe aufs Deck fallen, wischte sich den Regen aus dem Gesicht und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein sinkendes Schiff, eine verlorene Mannschaft. Wie zur Hölle sollte er das alles erklären, ohne die Probleme mit dem GPS zu erwähnen? Natürlich würde es eine Untersuchung geben, er erinnerte sich gut an das letzte Mal. Druck wurde ausgeübt, Fragen gestellt, Gerichtsverhandlungen fanden statt. Und es gab keine Möglichkeit, sich zu entziehen. Und niemand, dem er vertrauen konnte – daran erinnerte er sich besonders deutlich. Außerdem war ihm klar, dass er Anna ganz allein würde finden müssen. Die Rotoren des Hubschraubers dröhnten in seinen Ohren. Ihm blieben nur noch Sekunden. Das Schlauchboot hielt nach Osten. Jetzt oder nie! Er schaute nach Lee. Wie tief war das Wasser am Heck? Die Shawould maß vierzig Fuß. Also war es tief genug. Hamnet spurtete los und sprang.
Während er fiel, ruderte er zunächst mit den Armen, um das Gleichgewicht zu behalten, dann schützte er seinen Kopf vor dem Schlag ins Wasser. Der Atem zischte mit einem Strahl aus Blasen aus seinen Lungen, und er tauchte schon unter, als er daran dachte, Arme und Beine zu spreizen, um seinen Abstieg in die Tiefe zu bremsen. Als ihm klar wurde, wie tief er getaucht war und wie wenig Luft er in den Lungen zu haben schien, stellte er das Zappeln ein und versuchte, so schnell wie möglich an die Oberfläche zu steigen. Er spürte all die Wirbel um sich herum, und als er oben angekommen die Augen aufriss, sah er nichts als weiße Gischt. Mit den Beinen heftig um sich tretend, schlang er seine Arme dicht um den Körper, aber er japste nach Luft, und ohne es verhindern zu können, sog er einen gewaltigen Schwall Seewasser in seine Lungen. An die Oberfläche durchzubrechen war nicht einfach gewesen. Er keuchte und würgte, war unfähig, Atem zu holen und spuckte das Seewasser in hohem Bogen aus. Dann versuchte er erneut, Luft zu holen, und langsam füllten sich seine Lungen mit Sauerstoff.
Er war jetzt über den Wellen, ein Dutzend Meter in Lee seines Schiffes, immer noch würgend und keuchend. Den Hubschrauber, der irgendwo im dichten Regen und durch die Wolken verhüllt seine Runden drehte, weil sich der Pilot erst vergewissern wollte, ob auf dem Schiff vielleicht Feuer ausbrach, konnte er hören, aber nicht sehen. Hamnet drehte sich auf den Rücken und schwamm los. Die ersten vierzig Meter in dem flachen Wasser in Lee des Schiffs waren verhältnismäßig einfach. Aber kaum hatte er die durch die Deckslampen noch hell erleuchtete Fläche hinter sich, geriet er in einen gewaltigen Mahlstrom. Der Wind hatte mit seinen vierzig Knoten die Wasseroberfläche in einen schwankenden Morast verwandelt, doch Hamnet war an der Cronulla Beach von Sydney aufgewachsen, und seine lebenslange Leidenschaft fürs Surfen hatte außerdem dafür gesorgt, dass er sich wie ein Fisch im Wasser fühlte. Nichts außer Panik oder Erschöpfung könnte ihm zum Verhängnis werden, und mittlerweile hatte er sich wieder beruhigt.
Plötzlich blendete ihn ein grell aufflammendes Licht. Er drehte sich auf den Rücken und schaute zurück, wo er den Hubschrauber sah, der eine Fallschirmspringerlandung vorbereitete und alles in schaurige Helligkeit tauchte. Das angeschlagene Schiff war etwa vierhundert Meter entfernt, ein dunkler Fleck taumelte über den Aufbauten. Trotz des Windes, der Strömung und seines qualvoll langsamen Schwimmens war er gut vorangekommen, und die Männer im Helikopter konnten ihn aus dieser Entfernung in dem aufgewühlten Wasser ganz sicher nicht entdecken.
Er schwamm einen Kreis, um sich zu orientieren, wobei er immer wieder den Kopf aus den Wellen streckte, um nach der Küstenlinie Ausschau zu halten. Als er wieder einmal zum Schiff zurückblickte, wurde ihm klar, dass er schnell nach Lee abgetrieben wurde. Der Strom würde ihn mitten ins offene Fahrwasser
Weitere Kostenlose Bücher