Schiffe versenken
ziehen. Also hatte er gar keine andere Wahl, als es schwimmend zu durchqueren, sich immer parallel zum Schiff haltend, um überhaupt eine Chance zu haben, an Land zu kommen. Dann setzte er seinen Weg fort, aber nun quer zu den Wellen statt mit ihnen.
Langsam verschwand das Licht hinter ihm. Als einmal der Wind in seine Richtung wehte, konnte er hören, wie der Hubschrauber dicht über das Deck der Shawould hinwegflog. Die Piloten waren sicherlich zu dem Schluss gekommen, dass von dort unten keine Gefahr mehr drohte, aber Hamnet hatte andere Sorgen. Er baute an Kraft immer mehr ab, die Wellen überrollten ihn, und Mauern aus grünem Wasser oder wilden Wirbeln aus Gischt behinderten sein Fortkommen. Unter den großen Wellen tauchte er jetzt durch, um einen Moment lang Ruhe zu finden, während das wilde Meer ihn in die Tiefe zu ziehen versuchte.
Und allmählich veränderte sich das Wasser. Die Wellen wurden steiler, bauten sich hoch auf, brachen und stürzten seitlich auf ihn, sodass er kaum noch schwimmen konnte. Er verstand, was das bedeutete: Er kam in flachere Zonen. Vielleicht konnte er sich in der Brandung treiben lassen.
Noch einmal änderte er die Richtung, um sich die Wellen zu Nutze zu machen, die sich hier aufbauten. Er musste sich gewaltig anstrengen, um schnell genug zu sein, doch schließlich erwischte er eine. Er drehte sich mühevoll so, dass er sie quer nehmen konnte, und plötzlich schoss er ins freie Fahrwasser. Die Welle trug ihn – vierzig, fünfzig, sechzig mühelose Meter, ehe die Brandung an seinen Beinen sog, unter ihm durchrauschte und ihn zappelnd zurückließ. Noch einmal musste er um jeden einzelnen Meter kämpfen und erwischte eine zweite Welle. Eine dritte. Und noch eine. Aber die Erschöpfung laugte ihn aus, und er hatte kaum noch Kraft. Die Wellen brachen einfach über ihn herein, zerrten ihn weiter auf dem rasenden Karussell. Er hatte keine Chance zur Gegenwehr, also ließ er sich widerstandslos mit jedem dieser schäumenden Monster treiben, bis es ihn freiwillig wieder ausspuckte. Oder auch nicht. Möglicherweise würde er bald brutal auf den Strand knallen. Vielleicht würde er sterben. In seinem geschwächten Zustand konnte er nur noch auf das Beste hoffen. Und tief Luft holen, wann immer er die Chance dazu bekam.
Schließlich, nach einem gewaltigen Salto, schenkte ihm eine Welle die Freiheit, ließ ihn blind auf etwas Hartes knallen, sein Gesicht schrammte durch Sand oder Schlamm, und plötzlich fühlte er sich wieder voller Energie. Also schlug er wild um sich, wurde durch den Schlamm geschleift und landete mitten in den Mangroven, an denen er sich mit letzter Kraft festklammerte. Total ausgelaugt zog er sich hoch und kroch aus den Krallen des Meeres, während sich die Welle zurückzog. Er hatte überlebt.
Kapitel 4
Das Schlauchboot beschleunigte – übers Limit hinaus. Aber der Boss der Piraten schenkte dem keine Beachtung, als es über einen Wellenkamm hinausschoss und einen Augenblick lang in der Luft hing. Die beiden Außenborder heulten auf, als sie aus dem Wasser kamen, und Anna stützte sich ab, so gut es ging. Dann krachte das Boot, mit dem Heck zuerst, wieder auf die Wellen auf, und die Motoren verendeten in einem stotternden Ächzen. Durch den gestauchten Rumpf stieg Wasser ins Boot, das lebensgefährlich schaukelte, während achtern gewaltige Gischtfahnen in den Regen hochgeblasen wurden. Anna hatte sich die Greifleine fest um eine Hand gewickelt; mit der zweiten versuchte sie, sich verzweifelt so festzuhalten, dass ihren ungeborenen Kindern nichts geschah, und stemmte sich mit den Beinen an Backbord im Heck des Bootes neben einem am Boden liegenden Benzinkanister an den Vordersitzen ab.
Dreimal wurde das Boot so durch die Luft befördert, während es auf seinem Weg von der Shawould über den Ozean bretterte. Doch der Amerikaner verstand seinen Job. Mit professioneller Präzision flog er über die Wellen, nutzte alle zweihundert Pferdestärken und steuerte so intelligent, dass er die brechenden Wellen nie frontal packen musste. Aber dann, er schien den Verstand verloren zu haben, drosch er das Boot ohne Rücksicht auf Verluste, durch die Brandung. Die Passagiere, Gefangene wie Wächter, konnten nichts anderes tun, als sich festzuklammern. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, und alle Gesichter verzerrten sich, während sie der Gnade einer gottlosen Macht ausgeliefert schienen, die darüber wachte, dass ihr Boot nicht kenterte.
Anna schloss die
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