Schimmer (German Edition)
Theke kniete, die Bretter abklopfte und Samson rief, während ich herauszufinden versuchte, wie sich die Vertäfelung aufschieben ließ. Es dauerte nicht lange, da hatte ich den Riegel gefunden und schob das erste Brett zur Seite.
»Hier ist er!«, schrie ich. »Er ist hier drin!«
Da saß Samson, zusammengekauert – die Knie an der Brust –, mitten in allem möglichen Krempel und Klumpatsch. Alte Aktenordner und staubige Schuhkartons stapelten sich um ihn herum in der versteckten Rumpelkammer, dazwischen tütenweise alte Klamotten und ein paar kaputte Töpfe und Pfannen.
Samson blinzelte uns aus seinem Schlupfloch-Gefängnis an, als wäre nichts Besonderes passiert. Er hatte einen schwarzen Plastikkuli in der Hand, den er in der Rumpelkammer gefunden haben musste, und malte sich damit überall an. Kritzel und Kringel ruckelten und zuckelten seine Arme hinauf und hinunter, Grinsegesichter und Sterne, Raumschiffe, Roboter und Käfer zierten seine Haut, sie wackelten und zappelten, plapperten und plauderten in dem wirren Wust in meinem Kopf.
Ich zog Samson aus der Wand und nahm ihn fest in die Arme, ich versuchte auf seine Gedanken zu lauschen. Jetzt, wo ich ein einziges Mal Zutritt zu der Innenwelt meines Bruders hatte, wäre es mir lieb gewesen, wenn er sich nicht gar so sehr bemalt hätte – ich wurde aus all dem Krach nicht schlau. Doch ich war so froh ihn zu sehen, dass ich an kaum etwas anderes denken konnte. Samsons Mischmaschmix klang mir wie wunderschöne Musik in den Ohren.
Kaum hatten wir Samson gefunden, stürzten sich alle gleichzeitig auf uns.
Lester und Lill kamen aus der Küche um die Ecke, sie sahen erleichtert aus.
Carlene kam aus dem Schlafzimmer und hielt einen Besen auf uns gerichtet, als wollte sie uns alle aus ihrer Wohnung fegen, oder vielleicht auch auf den Besen springen und hinaus in den Sturm fliegen.
Und zu allem Überfluss trat die Polizei genau in diesem Moment die Tür ein.
32. Kapitel
Die nächste Stunde war das reine Chaos. Wenige Augenblicke nachdem die ersten patschnassen Polizisten Carlenes Wohnwagen gestürmt hatten, erschienen weitere Streifenwagen auf der Bildfläche. Ermittler drängten sich durch den Wohnwagen und durch den Heartland-Bibelbus. Als der Regen aufhörte und der Himmel wieder klar wurde, strömten neugierige Nachbarn, die alle einen ruhigen Sonntagnachmittag zu Hause verbrachten und sich über ein bisschen Live-Unterhaltung freuten, in die Straße und schauten zu, wie der Sturm verebbte und sich das Drama abspielte. Jemand nahm Carlene den Besen ab, und die drei Erwachsenen – Lester, Lill und Carlene – wurden hinausgeführt und von der Polizei befragt. Eine Sozialarbeiterin von der Fürsorge, eine Frau mittleren Alters mit grauer Hose und flachen Schuhen, stellte sich schützend vor uns Kinder. Überall um uns herum wurde geredet, aber die Stimmen waren nicht in meinem Kopf, so dass ich sie ausblenden und mich ganz auf Samson konzentrieren konnte.
Bobbi, Will und Fish saßen nebeneinander auf Carlenes Sofa. Bobbi lümmelte sich in den Kissen und gab sich demonstrativ angeödet, ließ Kaugummiblasen zerplatzen und riss neuen Kaugummi ab, was die Sozialarbeiterin offensichtlich nervte, während Will sehr aufmerksam das Kommen und Gehen der Polizisten beobachtete. Fish sah blass aus; sobald wir Samson gefunden hatten, hatte sich sein Sturm gelegt, doch er war völlig erschöpft von der Anstrengung, ihn zu bezwingen.
Samson und ich saßen vor den anderen ans Sofa gelehnt auf dem Boden. Samsons bekritzelte Hand lag in meiner, den Kuli hielt er immer noch fest umklammert. Ab und zu schnappte ich in dem Kuddelmuddel seiner Gedanken ein Wort oder einen Satz auf, und so ungereimt und melodiös, wie seine Worte waren, wurde seine Stimme schon bald zu einer beruhigenden Hintergrundmusik.
Bald kamen Sanitäter herbei, sie boten uns Decken und Wasser an und untersuchten uns alle, stellten jede Menge Fragen und machten Aufnahmen von Wills blauem Auge und Fishs zerkratztem Gesicht.
Immer wieder versuchten wir zu erklären, was passiert war, während die Leute sich Notizen machten. Ich versuchte der Polizei, der Sozialarbeiterin und den Sanitätern zu erklären, dass das alles nur meine Schuld war. Ich versuchte ihnen zu erklären, wie wahnsinnig wichtig es war, dass wir zu Poppa kamen – und zwar bald! All die wertvollen Minuten, die jetzt verstrichen, waren Minuten mit ihm, die wir
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