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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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von der
hiesigen Eisenbahn sah es sich an und sagte mir, ich hätte noch Glück gehabt,
denn in solchen Fällen entstünde nicht selten ein Loch. Merkwürdigerweise war
am selben Tag auch mein Freund Kowaljow vom Pech betroffen, mit dem ich mich in
letzter Zeit viel abgebe, nachdem er mir zunächst anmaßend und nicht sehr
gescheit vorgekommen war, in Wirklichkeit ist er eine gute, gerade Seele - ihm
also passierte es beim Verdünnen von Spiritus, dass er, um den Alkoholgehalt zu
prüfen, ein Streichholz an das Gesöff hielt, und es gab eine Stichflamme, die
ihm Hände, Hals und Lippen verbrannte, sodass er nun überall Brandblasen hat.
Du siehst, die Leute hier bringen es auch ohne jeden Krieg fertig, sich zu
verstümmeln.
     
    13.
Dezember 1915. Sonntag
    Ich führe
beinahe gar kein Tagebuch mehr, weil ich all meine freie Zeit darauf verwende,
Briefe an Aljoscha zu schreiben.
    Dafür lege
ich seine Briefe hier ein - so führen Aljoscha und ich nun ein gemeinsames
Tagebuch! Vor einem Jahr waren es noch Blümchen, die ich hier zwischen die
Seiten legte, mein Gott! Nun sind es Aljoschas Briefe.
    Es hat die
ganze Nacht geschneit, die Stadt sieht hübsch aus, festlich und frisch. Aber
gleich denke ich wieder: Wie mag es dort aussehen, in den Stellungen? Er muss
doch frieren. Und schon kann der Anblick von Schnee keine Freude mehr in mir
wecken.
    Genauso in
der Schule. Ich muss nur an Aljoscha denken, prompt schrecke ich aus der ganz
anderen Zeit, in der ich gerade stecke, alte Griechen oder so, wieder auf: Was
soll mir Hellas? Wozu hat dieser Homer dermaßen viele Seiten über irgendein
Troja vollgeschrieben? Jede Zeile aus Aljoschas Briefen wiegt mehr! Welch eine
Qual, in die Schule zu gehen und diese doofen, nutzlosen Stunden abzusitzen!
Was hat das für einen Sinn - wenn ich doch ihm um den Hals fallen möchte und
nicht kann?
    Einen
Brief habe ich geschrieben, der sehr speziell ist. Darin stehen Dinge, über die
ich noch mit niemandem sprach. Ich habe beschlossen, ihn nicht abzuschicken.
Stellte mir vor, wie Aljoscha heimkehrt und wir ihn gemeinsam lesen: auf seinem
Sofa liegend, Schulter an Schulter, Schläfe an Schläfe.
     
    14.
Dezember 1915. Montag
    Heute
unternahmen wir eine Dienstfahrt in die Stadt. Wir kamen durch mehrere kleine
Orte. Überall herrscht Verwüstung. Auf Straßen und Höfen liegen kostbare Möbel
herum, kaputte Nähmaschinen, Grammofone.
    Beim
Verlassen des Stabes hörte ich vom Hauptplatz her Militärmusik - da war ein
Begräbnis im Gange. Irgendein General, aufgebahrt auf der Lafette. Und
plötzlich interessierte es mich, wie der Sarg auf dem Gerät befestigt ist.
Immerhin bin ich ja Artillerist, könnte also auch so zu Grabe getragen werden.
Stellte mich dazu und guckte. Kannst Du mal sehen, mein Liebes, auf was für
Dummheiten man hier verfällt. Anschließend war ich in der Kirche. Der Diakonus
rief Gott an und bat, »unserem Christenheer den Sieg zu schenken«. Aber sind
die anderen denn nicht auch Christen? Mir fiel mein deutscher Großvater ein. Er
hat mich gelehrt, das Vaterunser zu beten.
    Bestimmt
wird jetzt, zu dieser Minute, in den deutschen Schützengräben jenseits des
Wäldchens irgendwer ein Gebet sprechen und den lieben Gott darum bitten, seinem
Christenheer den Sieg zu schenken. Ist also der, der am Ende Sieger bleibt, der
Christlichere von beiden?
    Mit Dir
kann ich mich über Gott und die Welt unterhalten; dagegen hier, in den Gräben,
wird das Eigentliche niemals besprochen. Die Leute rauchen, essen und trinken,
reden über irgendwas - Stiefel zum Beispiel. Du kannst Dir nicht vorstellen,
wie sich gebildete Menschen stundenlang über dieses Thema auslassen können!
Womöglich belauscht der Tod schon ihre Gespräche - und ihnen fällt ein, dass es
vor dem Krieg Stiefel gab, die so eng waren, dass man sie nicht ohne Hilfe der
Ordonnanz ausziehen konnte, nicht mal den Finger bekam man von oben hineingeschoben.
Und ewig lässt sich darüber streiten, ob man besser Talkum oder Kolophonium
verwendete. Sich austauschen darüber, wer welcherart Brettchen - mit Aussparung
für den Absatz! - dabeihatte für den Fall, dass keine Hilfe zur Hand war. Und
über die Geschichte, wie die Stiefel vor der Parade auf den Fuß genäht und
anschließend wieder aufgetrennt worden waren, kann man herzlich miteinander
lachen. Weißt Du übrigens, was gerade in Mode kommt? Der letzte Schrei sind
Stulpenschnürstiefel, wie Offiziere der Luft- und Panzerstreitkräfte sie
tragen. Aber das sind alles

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