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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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bloß Träume, wir hier haben gewöhnliche russische
Filzstiefel an den Füßen oder Burki, das sind warme kaukasische aus schwarzem
Filz.
    Abends vor
dem Einschlafen fiel mir der Rjasaner Oberleutnant bei Gogol ein, der nicht
einschlafen konnte, ohne noch einmal seine neuen Stiefel betrachtet zu haben.
Und ich dachte mir: Wenn wir alle, die wir heute den ganzen Abend über Stiefel
geredet haben, längst von der Bildfläche verschwunden sind, wird dieser Oberleutnant
noch da sein und sich Nacht für Nacht an den »kühn und zierlich« geformten
Absätzen erfreuen.
    Ich hatte
mich schon hingelegt und das Nachtgebet gesprochen, aber schlafen ging nicht -
also habe ich die Kerze wieder angezündet und schreibe weiter. Obwohl ich gar
nicht weiß, mein Täubchen, was ich Dir noch schreiben soll.
    Ein Soldat
hat mir ein Gebet beigebracht, das er neunmal am Tag spricht - in der
Überzeugung, dass ihm so nichts passieren kann. Es geht so: Gottvater voraus,
Gottmutter in Mitten und ich hinterdrein. Was den Göttern, das geschehe mir.
    Nun sage
auch ich jeden Morgen neunmal hintereinander dieses Gebet auf. Und wisse: Wenn
wir beide uns eines Tages wiedersehen, dann hat das Soldatengebet gewirkt!
     
    16.
Dezember 1915. Mittwoch
    Heute im
Unterricht hat Sabugski mich wieder ständig so ekelhaft angestarrt und mit den
Fingern seine Warze geknetet. Da ist mir auf einmal so elend geworden! Aljoscha
will ich davon gar nicht schreiben.
    Ich saß in
der Klasse, und es überkam mich wie ein Schlag: Was tue ich hier? Wozu? Ich
bat, hinausgehen zu dürfen. Auf den Fluren war es still, überall lief der
Unterricht. Ich ging nach unten und kam dazu, wie der Hausmeister ein
Telefongespräch führte. Ich wollte es nicht mit anhören, doch er sah mich nicht,
wähnte sich allein und telefonierte mit einem seiner Kammerzofenliebchen, riss
schmutzige Zoten und verabredete ein Stelldichein ...
    Wie
unerhört geschmacklos und armselig das alles ist, wie widerwärtig.
    Mein
Aljoschenka, wo bist du? Wann sehen wir uns wieder?
    Nach der
Schule ging ich in die Kirche, Sankt Maria Geburt am alten Postplatz. Ich suche
täglich mehrere Gotteshäuser auf, um für Aljoscha zu beten. Mit mir Frauen
zuhauf: Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Bräute. Alle stehen wir da und flehen
um das Eine: Gott, beschütze und behüte sie!
     
    18.
Dezember 1915. Freitag
    Vorgestern
wurde das Munitionslager der 3. Batterie von einer Bombe getroffen. Die
gelagerte Munition ging aber nicht in die Luft, wie zu erwarten gewesen wäre.
Die Granaten wurden wie Kegel auseinandergeschleudert, mehr geschah nicht. Von
Sabotage ist die Rede, Spionen in den rückwärtigen Diensten. Paradoxerweise hat
diese Sabotage vielen das Leben gerettet. Wie verworren der liebe Gott doch die
Welt gemacht hat!
    Oberleutnant
Kowaljow - ich schrieb Dir wohl schon von ihm - hat mir aus dem Kaukasus
Stiefel mitgebracht. Langschäfter, weich und federleicht, obwohl sie nur zwölf
Rubel kosten.
    Demnächst
schicke ich Dir ein Foto von mir zu Pferde.
    Deine
Briefe lese ich immer wieder. Lege die Lippen an Deine Worte auf dem
zerknitterten Papier, küsse Deine Hand, die diese Worte schrieb. Küsse und
warte geduldig, dass wir uns wiedersehen. Denn das werden wir doch, nicht wahr?
Es kann doch unmöglich sein, dass wir uns nie mehr wiedersehen?
     
    20. Dezember
1915. Sonntag
    War bei
Aljoschas Eltern zu Besuch. Es zog mich in sein Zimmer, wo jetzt der kleine
Timoschka haust, der mir gleich ein Zauberkunststück vorführte: Man reibt ein
Stück Siegellack mit einem Lappen so lange, bis Papierschnipsel daran springen
und kleben bleiben. Er ist eifrig damit beschäftigt, Männlein aus Papier auszuschneiden,
kleine Soldaten. Das klappt noch nicht so gut, weil er noch nicht gerade
schneiden kann, mal schneidet er ein Bein ab, mal eine Mütze mitsamt Ohr. Ich
ging ihm ein bisschen zur Hand.
    Dann lief
ich nach Hause; der anhaltende Krieg füllt die Straßen mit Krüppeln - man
könnte meinen, auch sie wären ungeschickt mit der Schere ausgeschnitten: Hier
fehlt ein Arm, da ein halbes Bein...
    Lieber
Gott, mach, dass Aljoscha heil und unversehrt zu mir zurückkehrt!
     
    21. Dezember
1915. Montag
    Nun bin
ich schon so lange an vorderster Front, und erst gestern hatte ich mein erstes
richtiges Gefecht. Alles zuvor Gesehene und Erlebte, ach so Bedeutende, was ich
Dir schilderte - Kinkerlitzchen.
    Wir waren
zwecks Verstärkung zu den Stellungen des benachbarten Regiments aufgerückt und
erwarteten den Befehl zum

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