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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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nicht zurück!
Er kommt nicht wieder! Und die Schuldige wäre ich - denn meine Liebe müsste ihn
retten, doch er hat so wenig davon abbekommen, dass es zur Rettung nicht
genügt...
    Ich bin
schuld, dass ich ihn nicht so lieben konnte, wie er es verdiente.
     
    8.
Dezember 1915. Dienstag
    Es ist
Abend. Ich sitze im Unterstand vorm Telefon, von dem ich als Divisionsadjutant
nicht weichen darf. Manchmal klingelt es.
    Der Krieg
ist überhaupt nicht das, was Ihr Euch darunter vorstellt. Klar, es fliegen
Granaten, aber nicht gerade im dichten Hagel, und so viele Leute kommen nicht
um dabei. Der Krieg hat seinen Schrecken verloren, und überhaupt: Kann die
Welt, wie sie ist, einen schrecken? Letzten Endes lassen sich die winzigsten
Bagatellen zum Horror aufblasen. Kommt eine Granate geflogen, und du stellst
dir vor, wie du getroffen wirst, stöhnst, im Dreck krauchst - dann kann dir
natürlich angst werden. Aber wenn du die Dinge nüchterner betrachtest, siehst
du ein: Es kann dich treffen, ja, aber was willst du machen? Vor Angst
schlottern? Dich quälen vor der Zeit? Solange du lebst, atme tief durch.
    Ich möchte
mich nicht brüsten, doch meine Angst hat nachgelassen, sie ist beinahe ganz
weg. Wäre ich bei der Infanterie, dann hätte ich sicher auch die Ängste eines
Infanteristen auszustehen, von denen es einige mehr gibt. Das Einzige, womit
ich den Befürchtungen meiner Mutter entgegenkommen konnte, war, dass ich zur
Artillerie gegangen bin und nicht zur Infanterie. Ein Artillerist verachtet
die Granate, doch er fürchtet die Kugel, so hat es ein Offizier unserer
Batterie formuliert. Bei den Infanteristen ist es umgekehrt. Da kannst Du mal
sehen, was für komische Ängste wir hier haben.
    Ich denke
immerzu an Dich, mein Liebes, und fühle meine Liebe zu Dir mit jedem Tag
wachsen und stärker werden. Sag, wie ergeht es Dir?
     
    11. Dezember 1915. Freitag
    Heute in
der Schule wurde über Turgenjews Rudin Gericht gehalten. Rudin könne nicht
lieben, er wolle es gar nicht, vor der großen, wahren Liebe kriege er das
Zittern, ereiferte sich Mischka; sie redete sich so in Rage, dass sie zuletzt
herausplatzte: Diesen Rudin müsste man erschießen! Da mussten alle lachen.
    Mitten in
der Nacht bin ich aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen. Dachte an
Aljoscha.
     
    12.
Dezember 1915. Samstag
    Gestern
war es zum ersten Mal richtig knapp. Die Granate schlug zwei Schritte neben mir
ein. Gott hielt die Hand über mich. Ein Camouflet! Das ist ein Geschoss, das
beinahe lotrecht einschlägt und sich tief in die Erde bohrt. Dort krepiert es,
ohne das Erdreich auszuheben, nur ein bisschen Rauch tritt hervor. Camouflets
kommen selten vor - Glück gehabt.
    Du
schriebst, dass Du in unserer Kirche für mich beten warst - da siehst Du, es
hat geholfen.
    Und weißt
Du, was das Lustigste ist? Das, woran ich gerade dachte, als die Granate
einschlug. Wahrscheinlich glaubst Du, Dein Held gerierte sich, den Blick himmelwärts,
wie ein gewisser Andrej Bolkonski auf dem Schlachtfeld von Austerlitz oder so
ähnlich. Nichts dergleichen! Meine Gedanken hingen den kleinen Handwärmflaschen
an, die man sich hierfür die Manteltaschen ausgedacht hat: mit Samt ummantelte
Metallkörper, in denen glühende Kohlestückchen stecken. Daran siehst Du, wie
gut es ist, dass ich für dieses Mal am Leben geblieben bin. Mit so einem
Quatsch im Kopf zu sterben wäre doch traurig.
    Den ganzen
Tag schweben »Würste«, Fesselballons zur Feldaufklärung, am Horizont. Die
konnte ich heute von einem Aussichtsposten aus beobachten - wir haben ein
prächtiges Zeissfernrohr.
    Das
Schwierigste ist die erzwungene Untätigkeit. Den Kopf irgendwie zu
beschäftigen ist unerlässlich. Heute zum Beispiel hätte ich liebend gern etwas
Mathematisches gelesen und überdacht. Bedauerte es, nicht Granvilles Elemente
der Differenzial- und Integralrechnung dabeizuhaben. Ich habe schon Mama
darum gebeten, mir das Buch zu schicken. Einstweilen muss ich mit dem
vorliebnehmen, was mir an Lektüre unterkommt. Manchmal habe ich Glück. Neulich
zum Beispiel lieh ich mir bei einem Offizier der 2. Batterie ein populär
abgefasstes Buch zur drahtlosen Telegrafie und saß darüber bis zum Abend. Am
Morgen dann hatte ich für dieses Vergnügen zu zahlen: Stellte mich beim
Anzünden der Zigarette äußerst ungeschickt an, das »Sicherheits«zündholz
sprang mir direkt ins Auge und versengte die Hornhaut. Es bildete sich ein
weißes Bläschen, das Auge geht nur mit Mühe zu öffnen. Der Arzt

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