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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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eine Tragödie zu basteln, und
groß muss es sein, Massenszenen, um des Effektes willen. Wenn man diesen
Johannes liest, kommt man sich vor wie in einem Streifen von Chanshonkow &
Co. im Kinematografen... Aber ich verplaudere mich. Schlaf, mein Täubchen!
Schlafe ein! Ich wünsche Dir eine gute Nacht! Und küsse Dich gleich einmal,
über all die vielen Werst in dieser Nacht hinweg, und bin also bei Dir!
     
    10. Januar
1916. Sonntag
    Nun sind
es fast zwei Wochen ohne Brief von Aljoscha, und ich werde wahnsinnig. Zu
alledem hatte ich heute Nacht einen grässlichen Traum, aus dem ich tränennass
erwachte. Ich sitze mit ihm in einer Troika, wir fahren durch die frostige
Winternacht. Ich spüre ihn ganz nah, seinen Atem, seinen Mund. Und es ergreift
mich mit einem Mal der heftige, innige Wunsch, das Leben in vollen Zügen zu
leben, mit allen Fasern meines Leibes, und das Klingeln der Glöckchen und das
angenehme Knirschen des Schnees unter den Kufen wäre die schönste Begleitmusik
bis in alle Ewigkeit. Doch plötzlich ist das alles weg, und ich bin allein.
Werde wie einst als Kind irgendwohin kutschiert, die Wangen gegen den Frost
dick mit Gänsefett eingeschmiert, das klebt und stinkt ganz abscheulich.
Allmählich wird das Fett heiß und tropft ab. Vor mir die Kruppen der Pferde,
die bereiften Schwänze. Ich sehe sie deutlich, rieche das Bärenfell, auf dem
ich sitze, den Schweiß der Pferde und die Gase, die beständig ihren Bäuchen
entweichen... Und dann wachte ich plötzlich auf und wusste: Er ist tot. Es
zerriss mir fast das Herz.
     
    11. Januar 1916. Montag
    Ein Brief
von ihm! Er lebt! Er lebt! Er lebt!
    Weihnachten
mussten wir in den Stellungen verbringen - ganz unbehelligt von den Deutschen,
am Heiligabend ebenso wie an den Feiertagen. Zu Heiligabend wurde in der
Batterie ein Bäumchen vor die Unterstände gestellt und angezündet. Der Abend
blieb windstill, die Kerzen wurden nicht ausgeweht. Unwillkürlich wanderten die
Gedanken zu Euch nach Rostow. Ich konnte mir den Abend bildhaft ausmalen:
Zuerst herrscht reges Treiben auf den Straßen, dann hört das Gedränge auf, und
die Kirchenglocken heben überall zu schlagen an, ein großes, feierliches
Klingen, die Vorabendmesse beginnt und anschließend die Christmette. Nach
Beendigung kommt das Volk aus den Kirchen geströmt und verläuft sich in froher Feststimmung...
Hier hingegen, bei uns wie bei den Deutschen, war es vollkommen still. Die
Nacht war sternenklar, und die Stille fachte die Traurigkeit nur noch an, ließ
das Getrenntsein von Euch noch stärker spüren. Ich musste an zu Hause denken,
die Kindheit; wie man eine Lage Heu unter das Tischtuch breitete im Gedenken an
Christi Geburt, und wie gut das Zimmer davon roch, ein Gemisch aus Heu und
Fichtennadeln. Weihnachten war bei uns immer ein Fastentag, von morgens an und
bis der erste Stern am Himmel erschien, wurde nicht gegessen. Hungrig hielt man
des Abends Ausschau nach dem Stern, dann wurde an der Tafel Platz genommen. Es
gab besondere Weihnachtspiroggen: weißer König (mit Reis), gelber König (mit
Bohnen) und schwarzer König (mit Pflaumen). Während ich dies schreibe, läuft
mir das Wasser im Mund zusammen, wie gern würde ich jetzt diese Piroggen
naschen! Ich schlüge mir den Bauch damit voll!
    Sei
geküsst! Gute Nacht! Ich schreibe morgen weiter.
    Hiermit
beende ich den vorgestern begonnenen Brief und gebe ihn in die Hände eines
Gelegenheitskuriers.
    Mehr zu
schreiben schaffe ich jetzt nicht, schicke den Brief so ab, wie er ist. Draußen
scheint die Sonne, es ist kalt, der Schnee glitzert, und Spatzen fliegen mit
schrillem Gezwitscher auf den frischen Haufen Pferdemist. Spatzenglück!
     
    Frage: Beschreiben
Sie Ihren Reiseweg.
    Antwort: Ich ging
hinaus und ging los, ohne zu wissen, wohin, so ging ich vierzig Tage.
    Frage: Durch
welche Länder sind Sie gereist?
    Antwort: Ich kam in
ein Land, wo Menschen mit Hundsköpfen leben. Sie, die Hundsköpfler, sahen mich
an und taten mir nichts. Sie hausen mit ihren Kindern allerorts, bauen ihre
Nester ins Gestein. Hundert Tage ging ich, ihr Land zu queren, dann kam ich ins
Land der Pygmäen. Männer, Frauen, Kinder zuhauf liefen mir über den Weg. Ihr
Anblick schreckte mich, ich meinte, sie könnten mich fressen. Also beschloss
ich, mir die Haare auf dem Kopf zu zausen und stracks auf sie zuzugehen, denn
liefe ich vor ihnen weg, so fräßen sie mich. Also verfuhr ich so, und sie -
ihre Kinder schnappend, mit ihren Zähnen knirschend - liefen auf und

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