Schischkin, Michail
machte, dass ich wegkam.
Setzte
mich hin, einen Brief an Aljoscha zu schreiben. Wusste nicht, was ich schreiben
sollte. Wollte schreiben, wie sehr ich ihn liebe, konnte aber nicht. Ich werde
noch wahnsinnig. Was habe ich falsch gemacht? Ich war es, die am letzten Abend
alles verdorben hat! Was mag er jetzt von mir denken?
Dabei
wollte ich ihn nur küssen und kosen, lieb haben, wollte ihn glücklich sehen mit
mir! Warum ist alles so schrecklich danebengegangen? So voller Pein! Pein und
Schmerz und Unbehagen!
Von
Aljoscha noch nichts.
27.
November 1915. Freitag
Von
Aljoscha noch nichts.
Sowie ich
an jenen Abend denke, daran, wie ich die Bluse aufknöpfte, seine Hand ergriff
und an mich zog, überkommt mich wieder unerträgliche Scham! Wie er sich
genierte, wie er sich quälte, weil es bei ihm nicht klappen wollte! Wie wir uns
dann wieder anzogen, es mieden, einander in die Augen zu sehen...
Verzeih
mir, Aljoscha, ich bin an allem schuld!
1. Dezember
1915. Dienstag
Nina
Nikolajewna erzählte heute vom Gastspiel des berühmten Meininger Hoftheaters in
Moskau und dass es bei einer Szene, die im Wald spielte, plötzlich von der
Bühne herunter nach Kiefern roch.
Ich habe
beschlossen, nicht mehr zu ihr zu gehen. Von Aljoscha immer noch nichts. Nach
allem, was geschehen ist, wird er mir wohl nicht mehr schreiben.
4.
Dezember 1915. Freitag Endlich ein Brief von Aljoscha!
Was habe
ich gewartet, nun ist er da, ich konnte den Umschlag nicht gleich öffnen, las immer
wieder die Adresse - die Schrift, von seiner Hand.
Liebes!
Geliebtes! Ach so fernes!
Meine
Augen flogen über die Zeilen, verschlangen sie - drei Seiten! - suchten nach
dem Hauptsächlichen, und das Hauptsächliche kam ganz zum Schluss: Nun sind
wir getrennt, und ich weiß erst jetzt richtig, wie viel Du mir in diesem Leben
bedeutest, wie stark meine Liebe zu Dir ist und wie unbedeutend, im Vergleich
zu meiner Liebe, die Angst zu sterben und dieser ganze Krieg!
Während
ich die Zeilen aus seinem Brief abschreibe, rückt Aljoscha mir ganz nahe, so
als säße er bei mir, schaute mir über die Schulter. Als wären wir vereint:
durch die Worte! Buchstaben!
Ich habe
Dir schon einen Brief von unterwegs geschickt, wer weiß, ob Du ihn bekommen
hast. Mir geht es gut. Nichts habe ich bekommen,
Aljoscha! Gar nichts!
Ich sitze
in einem Unterstand, der einmal ein Keller war, das Haus ist zerstört. Auf dem
Tisch ein Flasche... leider nur Milch, Brot und eine Kerze. Heute haben wir nur
am Morgen geschossen. Ich halte als Einziger die Stellung. Die Offiziere sind
alle ins Dorf gegangen.
Ich habe
ganztägig Dienst - als Adjutant hat man nicht so wahnsinnig viel zu tun, darf
sich aber nicht vom Telefon entfernen. Manchmal schläft man ein, und dann
schellt es neben dem Ohr, man wacht auf, horcht und rennt los, dem Kommandeur
Bescheid zu geben.
Gestern
Abend um zehn wurde der Anflug eines Luftschiffs gemeldet. Ich ließ sogleich
alle Lichter löschen, und Minuten später fing ein schrecklicher Kanonendonner
an. Am Sternenhimmel war ein einzelner kleiner rot blinkender Stern
aufgetaucht, in dessen Umkreis explodierten die Granaten. Bald war das
Luftschiff direkt über uns. Die Luft war von grässlichem Knattern erfüllt, dazu
das Schwirren der Geschosse. Ein Kugel- und Splitterregen setzte ein, der einen
Klang erzeugte wie die Milch beim Kuhmelken, nur anhaltender. Zahllose
Explosionen in großer Nähe des Schiffskörpers, der sich im Feuerschein
abzeichnete, zigarrenförmig, schwarz.
So geht
das drei Seiten weiter. Ich las es an die Hundert Mal. Lieber Gott im Himmel,
behüte und beschütze ihn!
Erst
jetzt, nachdem er weg ist, an einem Ort, wo er täglich, stündlich vom Tode
bedroht ist, kann ich recht ermessen, was Liebe ist, und wie sehr ich darin
versagte, ihn zu lieben und meine Liebe und Zärtlichkeit zu beweisen, all das,
was ich für ihn empfinde - ich konnte ja nicht einmal von meiner Liebe
sprechen! Plötzlich ist mir klar, wie weit unter ihm ich stehe, wie wenig
würdig ich seiner bin und wie sehr schuldig vor ihm, da ich ihm so wenig Liebe
geschenkt!
Heute auf
dem Heimweg vom Lazarett (einer der Verwundeten dort ist gestorben), es war
schon dunkel und grimmig kalt, stellte ich mir mit Grausen vor, auch Aljoscha
könnte - Gott bewahre! - inzwischen verwundet sein, läge just irgendwo in einem
Lazarett im Sterben oder im finsteren Schützengraben oder einfach im Schnee und
riefe nach mir - und mein Herz krampfte sich zusammen: Er kommt
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