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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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etwas anderes in meinem Leben, ohne das Heim, Wärme,
Behaglichkeit und dergleichen allen Sinn verlieren! Ein Leben ohne die Bühne
ist für mich unvorstellbar. Dieses einmalige, unbeschreibliche Gefühl, da oben
zu stehen - ich habe es erlebt. Habe versucht, es dir zu erklären. Du hattest
ein geringschätziges Wort dafür, Rampenkoller hast du es genannt. Du machst dir
einfach kein Bild: Das sind Momente, da fühlst du, die Welt liegt dir zu Füßen,
da singst nicht mehr du, da singt es aus dir! Ich muss das haben, wieder und
wieder. Anders kann ich nicht leben! Und dafür muss ich Opfer bringen. Viele,
viele Opfer.
     
    Alles
Quatsch. Nichts davon lässt sich sagen! Was ich sagen werde, ist: Pawel, du
kannst eine Frau glücklich machen. Nur leider keine wie mich.
     
    13. August
1919. Dienstag
    Pawel,
mein Augenstern, verzeih mir all diese Dummheiten, ich liebe dich sehr! Komm
bitte bald zurück!
     
    14. August
1919. Mittwoch
    Ich traf
Joujou. Sie hat jetzt eine Affäre mit einem Engländer aus der Mission. »Ein
ganz außergewöhnlicher Mann!« Ihren Herrn Wolf hat sie bereits vergessen. Er
war auch einmal »ganz außergewöhnlich« gewesen. Es ist doch erstaunlich, dass
sich keiner mehr an die Deutschen erinnern mag. Abgehakt und vergessen. Als ob
nichts gewesen wäre. Alles Peinliche löscht das Gedächtnis willfährig aus!
Dabei waren die deutschen Stahlhelme kaum in Rostows Straßen aufgetaucht, als
man sie - Verteidigung hin, Verteidigung her - nicht mehr als Feinde, sondern beinahe
schon als Befreier angesehen hatte. Von Stund an schien alles wie verwandelt!
Noch gestern war man tunlichst armselig herumgelaufen, um Blässe,
Unscheinbarkeit bemüht - nun wurde eilends der Sonntagsstaat hervorgeholt,
Schmuck und Seide, die Damen setzten erst einmal die Hüte auf! Die Herren
trugen Schlips, weiße Hemden und Gamaschen. Mit einem Mal erstrahlten die
Schaufenster, da lagen Stoffe, Schuhe, Uhren, Kolonialwaren, lauter gutes
Zeug... und das nach all den Requisitionen! Wo kam das alles auf einmal her?
Eben noch waren die Leute auf der Jagd nach Lebensmitteln gewesen - nun machten
die Lebensmittel Jagd auf die Geldbeutel der Leute! Die Deutschen untersagten
den Verkauf und Verzehr von Sonnenblumenkernen in der Öffentlichkeit, und
prompt gab es keine mehr - während es zuvor nichts anderes gegeben hatte!
Peinlich mit anzusehen, wie alle den Deutschen zu gefallen suchten! Ruhe und
Ordnung zogen ein, plötzlich gab es Hausmeister, die eifrig die Straßen und
Bürgersteige fegten, was seit Ewigkeiten keiner getan hatte. Mord und
Totschlag, Raubüberfälle, Haussuchungen, Requisitionen - alles Vergangenheit.
Welch eine Schmach und Demütigung, dass die Russen sich Freiheit und Ordnung
von den Deutschen überhelfen lassen mussten!
    Mir ist
bis heute schleierhaft, wie das zuging: Da haben wir gegen die Deutschen Krieg
geführt, damit Ordnung und Wohlstand in unserem Land einkehren, und bekommen
haben wir sie erst, als die Deutschen uns besiegt hatten. Allein die Eisenbahn!
Im Handumdrehen waren Wagen und Bahnhofssäle wieder in Klassen unterteilt, die
Züge fuhren nach Fahrplan, und überhaupt kehrte jene Ordnung ein, die vor der
Revolution geherrscht hatte! Plötzlich standen Schildermasten an den
Kreuzungen, die exakte Richtungs- und Entfernungsangaben trugen, Letztere
ausschließlich in Minuten: zum Bahnhof, zum Stadtzentrum, zur Kommandantur - zehn
Minuten Fußweg. Das städtische Telefonnetz hatte gleich wieder
funktioniert, es gab Strom, man musste nicht mehr abendelang bei Kerzenlicht in
schummrigen Räumen sitzen. Und einfach verblüffend war die Bereitwilligkeit,
mit der diese Ordnung - die deutsche, unter germanischer Flagge, wie sie über
der Stadt wehte - von jedermann begrüßt wurde. Sie selbst herzustellen ist man
nicht in der Lage! Und wie sich alle freuten, dass endlich wieder deutsche
Musik in den Konzertsälen erklang: Wagner!... Gut, das mit Wagner lässt sich
noch erklären. Doch alles Übrige?
    Nun kamen
deutsche Offiziere zu Papa in die Sprechstunde. Ich höre ihn noch mit
Bitterkeit sagen, Russland sei keine Großmacht, sondern ein untertäniges
großes Land, und am besten wäre es wohl eine deutsche Kolonie, und sollten die
Deutschen eines Tages wieder abziehen, würden wir auf der Stelle wieder
einander abstechen, uns gegenseitig die Kehle durchbeißen.
    Und jetzt
sind die Deutschen weg.
     
    15. August
1919. Donnerstag. Maria Himmelfahrt Das sind alles keine Menschen mehr.
    Heute sah
ich, wie

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