Schischkin, Michail
und man sah am Ufer den Wind in den Weingärten wühlen und die
Goldeichel auf der Kirche im Sonnenlicht funkeln.
Sie
pflegten im Strandrestaurant zu Abend zu essen, wo das Kind hingebungsvoll die
langen Spaghettini in sich hineinzutschte. Müde vom Tag, schlief es regelmäßig
in seinem an den Tisch gerückten Kinderstühlchen ein, und sie saßen noch lange
da und tranken Wein, Lacrima Christi von den Hängen des Vesuvs, dem Schnaufen
des schlafenden Kindes lauschend und dem Klatschen der Wellen.
Sie hatten
ihren Baum, eine Platane, und fuhren vor dem Schlafengehen mit den Händen über
die glatte Rinde, die noch warm war in der nachtfrischen Luft.
Jenseits
des Meeres, in Richtung Neapel, hatte man des Nachts die Lichter gesehen, wie
ein riesiges Nest flirrender Glühwürmchen hinter dem schwarzen Wasser.
Und
Sterne: kolossal groß, eckig, mit ungleichen Kanten, wie grob gemahlenes Korn.
Der
Dolmetsch und Isolde hätten wohl besser nicht wieder nach Massa Lubrense fahren
sollen, ausgerechnet hierher.
Sie
hatten, wie Isolde sich ausdrückte, ihrer Familie eine letzte Chance geben
wollen. Wie vergeblich das alles war, wurde sehr schnell klar. Schon im Stau
vor dem Gotthardtunnel waren sie - eines offenen Fensters wegen - wieder in
Streit geraten, den Rest des Weges fuhren sie schweigend.
Die Nacht
hatten sie bis um drei diskutiert: die immer gleichen, zwecklosen,
überflüssigen Worte; dann hatte der Dolmetsch auf dem unbequemen Sofa im
Esszimmer zu schlafen versucht, das Kissen auf dem Ohr, um Isoldes Schluchzen
nicht hören zu müssen.
Am Morgen
fehlte die Kraft, um überhaupt noch zu reden. Das Kind, spürend, dass seine
Welt zu Bruch ging, saß still und beklommen in einer Ecke und malte. Als ihm
das Wasserglas umkippte, zog es mit dem Finger trübe Schlieren über das nasse,
wellige Papier.
Nach dem
Frühstück war Isolde mit ihm spazieren gegangen, und der Dolmetsch hatte von
Wunderheilungen und unverweslichen Gebeinen gelesen.
Nun kamen
die beiden vom Spaziergang zurück. Der Sohn schaltete den Fernseher ein und
schaute Trickfilme, Isolde verkündete, sie werde morgen mit dem Kind abreisen,
denn so weiterzuleben sei ganz unmöglich, und der Dolmetsch solle bitte so
lange weggehen, sie könne mit ihm nicht mehr unter einem Dach sein, geschweige im
selben Raum.
Na gut,
sagte der Dolmetsch, dann würden sie eben alle morgen früh abreisen, es sei ja
auch wirklich kein Leben, und ihm gehe es ganz genauso, er könne mit ihr auch
nicht mehr in einem Raum sein. An dieser Stelle fing der Sohn, der zusammengekauert
im Sessel vor dem Fernseher saß, leise zu schluchzen an. Wir hatten doch
abgemacht, wollte der Dolmetsch Isolde noch sagen, dass wir nicht mehr vor dem
Kind..., aber er beherrschte sich, es führte ja zu nichts. Um weiter nichts
sagen zu müssen, beeilte er sich, aus dem Haus zu kommen, und war im
Hinausgehen darauf konzentriert, die Tür so langsam und leise wie möglich
hinter sich zu schließen.
Der
Dolmetsch wusste nicht wohin. Sprühregen setzte ein und hörte wieder auf. Aus
den Häusern beobachteten ihn die Leute, er wollte schnell dahin, wo niemand war
und niemand sein konnte.
Brecher
rollten über das Meer, der niedrige Himmel hing voll trüber Schlieren, als
hätte jemand die Wolken mit dem Finger verschmiert.
Der
Dolmetsch ging zum Parkplatz, stieg ins Auto und fuhr Richtung Sorrento. Auf
halbem Wege dorthin wusste er eine Stelle, wo die Felsen weit ins Meer
hinausgingen, man konnte auf ihnen herumspazieren. Bei dem Wetter würde wohl
niemand dort sein.
Vorher kam
noch ein Dorf. Die Wohnungstüren gingen mitunter direkt auf die Straße, der
Dolmetsch trat auf die Bremse und schaute, wie die Italiener wohnen: ganz ohne
Flur und Vorzimmer, gleich hinter der offenen Tür fängt die Familie an. Da zum
Beispiel sitzt eine schwarz gekleidete Alte mit schrecklich abgearbeiteten
Händen und schaut, wie das Auto vorüberfährt; hinter ihr flimmert der
Fernseher. Aus den offenen Fenstern dringen Kinderstimmen. Ein untersetzter,
schwarzhaariger Bursche in weißem T-Shirt und Trainingshosen flitzt in
Schlappen über die Straße mit einem Topf, aus dem es in den Regen dampft.
In jedem
Haus eine Familie, mindestens. Wie halten die es bloß miteinander aus?
Sie halten
es nicht aus! Hinter jedem Fenster hat es früher oder später einer dem anderen
gesagt oder wird es sagen: dass es so nicht weitergehen kann, wir müssen uns
trennen, ich kann mit dir nicht mehr in einem Raum sein. Na gut, hat der
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